Detlef Burhoff, Ralph Gübner
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Verteidiger sollte vor der Hauptverhandlung mit dem Mandanten insbesondere die Möglichkeit einer Abweichung des Urteils vom Bußgeldbescheid auch in Form einer Verschlechterung erörtern. |
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Der Verteidiger muss den Mandanten hinsichtlich einer möglichen Einlassung beraten. |
3. |
Vor der HV muss sich der Verteidiger mit den verschiedenen Messverfahren und deren Fehlerquellen auseinandersetzen. Ggf. ist ein Privatgutachten einzuholen und vorab die Kostenfrage zu klären (Übernahme durch die Rechtsschutzversicherung). |
4. |
Auch muss der Verteidiger frühzeitig prüfen, ob ein Radarfoto zur Identifizierung des Betroffenen geeignet ist. |
5. |
Der Verteidiger muss auf evtl. bestehende Beweisverwertungsverbote achten. |
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Zudem sollte der Verteidiger absehbare Beweisanträge bereits vorbereiten. |
7. |
Der Verteidiger muss den Betroffenen hinsichtlich eines Regelfahrverbots aufklären. |
8. |
Ggf. sollte der Verteidiger mit dem Mandanten erörtern, inwieweit der Richter oder ein SV abgelehnt werden sollen. |
Rdn 4193
Literaturhinweise:
Burhoff, Vorbereitung der Hauptverhandlung in OWi-Sachen, VA 2002, 152
Fromm, "Standardisierte" Vorbereitung der Hauptverhandlung durch den Bußgeldrichter, NJW 2012, 2939
Mitsch, Bußgeldvereitelung durch Selbstbezichtigung gegenüber der Verkehrsbehörde, NZV 2016, 564
Niehaus, Strafbare Veranlassung der unwahren Selbstbezichtigung im Ordnungswidrigkeitenverfahren?, DAR 2015, 720
ders., DAR 2018, 394
s. auch die Hinw. bei Burhoff/Hirsch, HV, Rn 3944 ff.
Rdn 4194
1. Ist der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zulässig, wird i.d.R. ein Hauptverhandlungstermin durch das zuständige Gericht anberaumt. Der ergangene Bußgeldbescheid ist Grundlage des Verfahrens. Das Verfahren richtet sich gem. § 71 Abs. 1 nach den Vorschriften der StPO über das richterliche Verfahren, die nach Einspruchseinlegung gegen den Strafbefehl gelten (→ Hauptverhandlung, Allgemeines, Rdn 2371).
Rdn 4195
Vor der HV sollte der Verteidiger gegenüber dem Betroffenen u.a. folgende Gesichtspunkte ansprechen (vgl. Burhoff, EV, Rn 5205 ff. und Burhoff/Hirsch, HV, Rn 3952 ff., sowie ders. VA 2002, 152):
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Das Gericht kann in seinem Urteil auch zum Nachteil des Betroffenen vom Bußgeldbescheid abweichen. Es kann nach § 81 sogar zum Strafverfahren übergehen (→ Übergang vom Bußgeld- zum Strafverfahren, Rdn 3651). Dies erfolgt z.B. dann, wenn nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid wegen Führens eines Kfz mit einer BAK von 0,5 ‰ oder mehr (§ 24a Abs. 1 StVG) das Gericht feststellt, dass infolge möglicher Rückrechnung eine BAK von mindestens 1,1 ‰ in Betracht kommt (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2002, 149; → Trunkenheitsfahrt, Allgemeines, Rdn 3518). |
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Auch muss das Gericht, wenn es ein längeres Fahrverbot als im Bußgeldbescheid festsetzen will, keinen rechtlichen Hinweis gem. § 265 StPO erteilen (BayObLG NJW 2000, 3511; OLG Hamm NJW 1980, 1587). Ist jedoch im Bußgeldbescheid kein Fahrverbot festgesetzt worden, muss das Gericht in der HV darauf hinweisen, bevor es dieses anordnet (§ 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO; vgl. u.a. BGHSt 29, 274; OLG Düsseldorf NJW 1980, 251; NJW 1990, 462; NStZ 1994, 347; OLG Hamm zfs 2005, 519 = StraFo 2005, 298; OLG Jena NZV 2010, 311; OLG Koblenz VA 2008, 102; → Fahrverbot, verfahrensrechtliche Besonderheiten, Rdn 1772). Ob das Gericht auf eine beabsichtigte Erhöhung der Geldbuße hinweisen muss, ist streitig, wird aber von der wohl h.M. verneint (vgl. die Nachw. bei → Geldbuße, Bemessung, Rdn 1840). |
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Der Betroffene kann, wenn die Beweisaufnahme keine zu seinen Gunsten sprechenden Umstände ergeben hat, den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid bis zum Beginn der Urteilsverkündung zurücknehmen. |
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Will der Betroffene die Feststellungen zum Schuldvorwurf im Bußgeldbescheid nicht angreifen, empfiehlt es sich, den Einspruch zu beschränken (BayObLG NStZ-RR 1999, 369; OLG Hamm VRS 99, 220; OLG Celle NZV 1999, 524; → Einspruch, Beschränkung, Rdn 921). |
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Das OWi-Verfahren ist kein Strafverfahren, obwohl es sich nach den Vorschriften der StPO richtet. Gegenstand des Verfahrens ist nicht der Vorwurf, dass jemand kriminelles Unrecht begangen hat, sondern "nur" der eines ordnungswidrigen Verhaltens. Deshalb entscheiden im Bußgeldverfahren auf Einspruch des Betroffenen auch "Abteilungen für Bußgeldsachen" gem. § 46 Abs. 7. Die unterschiedliche gesetzliche Bewertung von Straftat und OWi verlangt es auch, die Verfahren äußerlich durch die Bezeichnung sowie auf Terminszetteln voneinander zu trennen (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, vor § 71 Rn 1). |
Rdn 4196
2. Der Verteidiger muss mit dem Mandanten besprechen, ob er sich einlassen will, wenn der Betroffene dies noch nicht getan hat. Dabei sind die Vor- und Nachteile einer Einlassung darzustellen (→ Einlassung, Allgemeines, Rdn 893 f.).
Rdn 4197
Insbesondere muss der Verteidiger mit dem Mandanten erörtern, inwieweit es zweckmäßig ist, eine schriftliche Äußerung des Betroffenen vor der HV abzugeben. Diese Form bietet sich auch im OWi-Verfahren an, wenn die Einlassung des Betroffenen "festgeschr...