Detlef Burhoff, Annika Hirsch
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Unmittelbarkeitsgrundsatz das sich aus diesem ergebende Beweismittelverbot erfasst nach § 250 S. 2 nicht nur Vernehmungsprotokolle, sondern grds. auch schriftliche Erklärungen. |
2. |
Die Rspr. des BGH geht davon aus, dass dieses Verbot diejenigen schriftlichen Erklärungen erfasst, die von vornherein zu Beweiszwecken verfasst wurden und sich zu einem für das Verfahren erheblichen Beweisthema äußern. |
3. |
Nach der Rspr. des BGH können schriftliche Äußerungen eines Angeklagten, die in seiner Anwesenheit verlesen wurden und denen er nicht widersprochen hat, bei der Urteilsfindung verwertet werden. Das gilt grds. nicht für schriftliche Ausführungen des Verteidigers, in denen er Angaben des Angeklagten wiedergibt. |
4. |
Ggf. kann das Protokoll über die Vernehmung des die Aussage nach § 55 verweigernden Zeugen verlesen werden. |
5. |
§ 250 S. 2 verbietet keine Vorhalte aus einer Vernehmungsniederschrift oder einer schriftlichen Erklärung an den Angeklagten oder einen Zeugen. |
Rdn 3537
Literaturhinweise:
Eschelbach, Erklärungen des Verteidigers zur Sache in der Hauptverhandlung, ZAP F. 22, S. 711
Gubitz/Bock, Die Verlesung von Vernehmungsniederschriften in der strafrechtlichen Hauptverhandlung, NStZ 2008, 958
Matsch, Protokollverlesung nach berechtigter Auskunftsverweigerung (§ 55 StPO) in der Hauptverhandlung, JZ 1992, 174
Mosbacher, Zur Zulässigkeit vernehmungsergänzender Verlesung, NStZ 2014, 1
Schelzke, Die Verteidigung vor dem Hintergrund des Unmittelbarkeitsprinzips, StraFo 2020, 481
Wengenroth, Verlesungsfähigkeit von Protokollen über Befragungen aus sog. internen Untersuchungen, StraFo 2022, 374
s.a. die Hinw. bei → Unmittelbarkeitsgrundsatz, Teil U Rdn 3207, und bei → Vernehmung des Angeklagten zur Sache, Teil V Rdn 3751.
Rdn 3538
1. Der → Unmittelbarkeitsgrundsatz, Teil U Rdn 3207, und das sich aus diesem ergebende Beweismittelverbot erfasst nach § 250 S. 2 nicht nur Vernehmungsprotokolle, sondern grds. auch Erklärungen, und zwar sowohl schriftliche als auch elektronische (BT-Drucks. 18/9416, S. 63). Diese dürfen zu Beweiszwecken nicht verlesen werden (zur Rechtslage im beschleunigten Verfahren → Beschleunigtes Verfahren, Teil B Rdn 902; zum Bußgeldverfahren → Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Beweisaufnahme, Teil B Rdn 1575). Das Gericht ist allerdings grds. verpflichtet, schriftliche Erklärungen des Angeklagten zur Kenntnis zu nehmen (BGHSt 52, 175, 178). Die Entgegennahme der Erklärung kann nicht abgelehnt oder diese gar zerrissen werden (BGH NStZ 2013, 59 m. Anm. Artkämper StRR 2013, 25; s.a. noch zur Verlesung einer schriftlichen Erklärung eines Zeugen aus einem Vorverfahren im Rahmen der Bekundungen eines StA zu den Angaben des Zeugen im Vorverfahren BGH, Beschl. v. 17.1.2024 – 4 StR 168/23 [Gegenstand der Bekundungen des StA als Zeuge vom Hörensagen]).
Rdn 3539
2.a) Die Rspr. des BGH geht davon aus, dass dieses Verbot diejenigen schriftlichen/elektronischen Erklärungen erfasst, die von vornherein zu Beweiszwecken verfasst wurden und sich zu einem für das Verfahren erheblichen Beweisthema äußern (st.Rspr.; u.a. BGHSt 6, 141 ff.; zuletzt BGH NStZ 1982, 79; OLG Hamm JMBl. NW 1964, 44; a.A. [hinsichtlich der Zweckbestimmung] Meyer-Goßner/Schmitt, § 250 Rn 8). In Betracht kommen insoweit vor allem Strafanzeigen (OLG Schleswig SchlHA 1974, 187 [E/J]), schriftliche Erläuterungen zu früheren Vernehmungen und Antworten auf Auskunftsersuchen (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; zur Verlesung von Interviewprotokollen einer internen Untersuchung und/oder von Unternehmensauskünften Schelzke StraFo 2020, 481, 483 ff.; Wengenroth StraFo 2022, 374).
Rdn 3540
Schriftstücke/Erklärungen, die nicht zu Beweiszwecken verfasst worden sind, wie Briefe (zur Frage der Verwertbarkeit eines Abschiedsbriefs des Angeklagten s. BGH NJW 1995, 269) oder persönliche Aufzeichnungen, und z.T. auch Tagebücher (Art. 1 GG!; s. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn 56a m.w.N.), fallen nicht unter das Verlesungsverbot (Mosbacher NStZ 2014, 1, 2; s.a. → Beweisverwertungsverbote, Teil B Rdn 1273), ebenso nicht in anderen Verfahren abgegebene Erklärungen (BGH NStZ 2012, 322 für eidesstattliche Erklärungen eines Mitangeklagten).
☆ § 250 verbietet nicht die Ergänzung einer Vernehmung durch den Urkundenbeweis (s. z.B. BGHSt 51, 280; BGH NJW 1987, 1093; NStZ 2012, 322; zu allem a. KK/ Diemer , § 250 Rn 2 m.w.N. a. zur teilweise a.A.; Mosbacher NStZ 2014, 1 ff.).Ergänzung einer Vernehmung durch den Urkundenbeweis (s. z.B. BGHSt 51, 280; BGH NJW 1987, 1093; NStZ 2012, 322; zu allem a. KK/Diemer, § 250 Rn 2 m.w.N. a. zur teilweise a.A.; Mosbacher NStZ 2014, 1 ff.).
Rdn 3541
b) D.h., verlesen werden dürfen
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schriftliche/elektronische Aufzeichnungen von Personen über ihre Wahrnehmungen (BGHSt 23, 213), |
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auch schriftliche/elektronische Geständnisse (BGHSt 39, 305), die der Angeklagte selbst abgegeben hat; nicht solche, die gegenüber anderen Personen (Verteidiger!) abgegeben worden sind (u.a. BGH StV 2002, 182; Beschl. v. 6.11.2018 – 4 StR 226/18, N... |