Detlef Burhoff, Annika Hirsch
Rdn 3866
Literaturhinweise:
Beulke, Kleider machen Strafverteidiger!? – oder: sitzungspolizeiliche Maßnahmen und die Mär vom "T-Shirt-Verteidiger", in: Festschrift für Rainer Hamm, 2008, S. 21
Eylmann, Satzungsversammlung soll Robenstreit beenden, AnwBl. 1996, 190
Kirch-Heim, Die Störung der Hauptverhandlung durch in §§ 177, 178 GVG nicht genannte, an der Hauptverhandlung beteiligte Personen, NStZ 2014, 431
Leitner, Was darf die Strafverteidigung? Über Amtstracht, verschleppte Prozesse, überlange Verfahren, Rügeverkümmerung und Berufsethos, StraFo 2008, 51
Melzer, Von Roben & Krawatten, Verteidigung Festschrift für Johann Schwenn, 2024, S. 281
Pielke, Die Robenpflicht der Rechtsanwälte, NJW 2007, 3251
ders., Wer bestimmt, was der Anwalt zur Robe trägt?, ZAP F. 23, S. 897
Weihrauch, Die Kleidung des Strafverteidigers, in: Festschrift für Egon Müller, 2008, S. 753
Zuck, Kleiderordnungen, NJW 1997, 2092.
Rdn 3867
1.a) Nach § 20 S. 1 BORA ist der Verteidiger verpflichtet, vor Gericht Amtstracht zu tragen (a. BVerfG NJW 1970, 851). Dazu gehört im Allgemeinen die schwarze Robe, und zwar auch beim AG (Umkehrschluss aus § 20 S. 2 BORA – "in Zivilsachen"). Ein (weißer) Quer- oder Längsbinder gehört nicht dazu, da § 20 S. 1 BORA nur die Robe erwähnt (s. allerdings Dahs, Rn 508 ["im Allgemeinen" weißer Längs-/Querbinder]; allgemein dazu Scharmer, in: Hartung, BORA/FAO, 8. Aufl. 2022, § 20 Rn 21 ff. [Robe ja, weißes Hemd/weiße Krawatte nein]; Prütting in: Henssler/Prütting, BRAO, 6. Aufl. 2024, § 20 BORA Rn 4 ff.; [verneinend] Pielke ZAP F. 23, S. 897 m.w.N.). Das LG Mannheim (NJW 2009, 1094) und das VG Berlin (NJW 2007, 793) zählen allerdings zur vollständigen Amtstracht des Rechtsanwalts (in Baden-Württemberg bzw. Berlin) grds. auch die (weiße) Krawatte. Nach OLG München (NJW 2006, 3079) soll auch (nur) das Tragen farbiger Hemden und Krawatten in dezenter Ausführung, nicht aber das Tragen von T-Shirts erlaubt sein. Die Rspr. des BGH geht davon aus, dass werbende Zusätze nicht erlaubt sind (BGH NJW 2017, 407).
Rdn 3868
b)aa) Kommt der Verteidiger der Pflicht, in Robe aufzutreten, nicht nach und weigert er sich grds., kann das nach h.M. in entsprechender Anwendung von § 176 GVG (→ Sitzungspolizei, Teil S Rdn 3027) zur Zurückweisung für die betreffende Sitzung führen (BVerfGE 34, 138; BVerfG NJW 1970, 851; BGHSt 27, 34 ff.; KG NJW 1970, 482; OLG Karlsruhe NJW 1977, 309; Wolff NJW 1977, 1064 in der Anm. zu BGH NJW 1977, 437 KK/Diemer, § 176 GVG Rn 4; Kirch-Heim NStZ 2014, 431 ff., der das auf andere "Störungen" erweitern will; a.A. Kissel/Mayer, § 176 GVG Rn 19 ff.; Scheffler, in: HBStrVf, Kap. VII Rn 61 ff.; wohl auch Pielke ZAP F. 23, S. 897, 900). A.A. ist insoweit auch wohl das OLG Celle (StraFo 2002, 301 f.) für das Tragen einer Krawatte, während das LG Mannheim (NJW 2009, 1094) das von den Umständen des Einzelfalls abhängig machen will (abl. Leitner NJW 2009, 1096 in der Anm. zu LG Mannheim, a.a.O.). Fraglich ist in dem Zusammenhang insbesondere, ob das Nichttragen der Robe bzw. Krawatte eine Störung der HV darstellt, die deren Fortgang behindert. Da das i.d.R. nicht der Fall ist, ist mit der o.a. abweichenden Ansicht die Anwendbarkeit von § 176 GVG zu verneinen. Das gilt auf jeden Fall auch dann, wenn der Verteidiger unter der Robe nur ein weißes T-Shirt trägt (a.A. OLG München NJW 2006, 3079; wie hier Pielke NJW 2007, 3251; Weihrauch StV 2007, 27 in der Anm. zu OLG München, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 176 GVG Rn 11).
Rdn 3869
bb) Trägt der Verteidiger keine Krawatte, kommt, da § 20 S. 1 BORA insoweit keine Regelung enthält, eine Zurückweisung m.E. nicht in Betracht (s. aber BVerfG NJW 2012, 2570; diff. LG Mannheim NJW 2009, 1094 [allerdings für den Nebenklägervertreter]). § 178 GVG scheidet schon vom Wortlaut her aus (OLG Celle StraFo 2002, 301), § 176 GVG ist wegen der fehlenden gesetzlichen Regelung auf keinen Fall anwendbar (teilw. a.A. LG Mannheim, a.a.O., das bei geschlossener Robe eine nur "geringe Störung" annimmt; s. aber BVerfG, a.a.O., das davon aus, dass die Zurückweisung eines Verteidigers, der sich trotz mehrfacher Aufforderung des Vorsitzenden weigert, in einem HV-Termin eine Krawatte anzulegen, allenfalls so leicht in die anwaltliche Berufsausübungsfreiheit eingreift, dass die Annahme einer gegen die Zurückweisung gerichteten Verfassungsbeschwerde nicht zur Durchsetzung der anwaltlichen Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG geboten sei). Hinzuweisen ist/war in dem Zusammenhang zudem auf § 59b Abs. 2 Nr. 6a BRAO a.F. (BVerfG, a.a.O. [abschließende Regelung]).
☆ Ein Ablehnungsgesuch soll mit der Zurückweisung aber nicht begründet werden können (→ Ablehnungsgründe , Befangenheit , Verhalten/Äußerungen des Richters , Teil A Rdn 98 ff.; OLG Braunschweig NJW 1995, 2113). Geht man jedoch davon aus, dass ein Ablehnungsgrund dann vorliegt, wenn ein Pflichtverteidiger nur deshalb entbunden wird, weil er einen Pullover unter der Robe trägt (BGH NStZ 1988, 510), dürfte diese Rspr. nicht zutreffend sein.Ablehnungsgesuch soll m...