Detlef Burhoff, Ralph Gübner
Rdn 3960
Literaturhinweise:
Goldbach/Friedrich, Verteidigung im Ordnungswidrigkeitenverfahren mit Vollmacht im Hinblick auf die Verjährung, VRR 2008, 208
s. auch die Hinw. bei → Übernahme des Mandats, Allgemeines, Rdn 3673 und zur Verteidigung allgemein die Hinw. bei Burhoff, EV, Rn 4803.
Rdn 3961
1. Die Verteidigung in Verkehrsordnungswidrigkeitensachen ist ebenso wie die in Verkehrsstrafsachen nicht selten eine schwierige Verteidigung. Abgesehen davon, dass die zu lösenden Rechtsfragen häufig nicht einfach sind, wird der Verteidiger meist auch in einem schwierigen Umfeld tätig.
Rdn 3962
Der Verteidiger hat es nämlich häufig mit schwierigen Mandanten zu tun.
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Die Mandanten stammen i.d.R. aus dem bürgerlichen Milieu und kommen meist das erste Mal mit der Justiz in Berührung. Ihnen sind die Abläufe eines OWi-Verfahrens daher vielfach nicht vertraut. Der Verteidiger muss sie ihnen also vermitteln. |
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Der Mandant erwartet vom Verteidiger schnelles Handeln. Er will schnell geklärt haben, ob er mit einem Fahrverbot rechnen muss oder nicht (zu den Fahrverbotsfragen → Fahrverbot, Allgemeines, Rdn 1493). |
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Die Mandanten erwarten effektives Handeln. Ihnen geht es vor allem darum, dass ein ggf. drohendes Fahrverbot endgültig verhindert wird. |
Rdn 3963
Auch die übrigen Verfahrensbeteiligten sind nicht einfach zu behandeln.
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Für den Richter handelt es sich bei den Verkehrsordnungswidrigkeiten um Massensachen mit i.d.R. für das Gericht nur geringer Tragweite, bei denen der Verteidiger daher manchmal nur als störend empfunden wird. |
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Da es sich um Massensachen handelt, ist häufig von der Polizei/Verwaltungsbehörde auch standardisiert ermittelt worden. |
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Der Verteidiger hat es oft mit "feindlichen" Zeugen zu tun. Nicht selten ist das "Opfer" Zeuge. Unbeteiligte stehen meist als Zeugen nicht zur Verfügung. |
Rdn 3964
Die Verfahrenssituationen sind ebenfalls nicht einfach.
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Die Rechtsfragen, die zu lösen sind, können komplex und schwierig sein, wie z.B. die, ob die dem Verfahren zugrunde liegende Messung verwertetet werden darf (u.a. → Beweisverwertungsverbote, Videoüberwachung, Allgemeines, Rdn 624) oder der Mandant sich ggf. auf einen rechtfertigenden Notstand berufen kann (→ Geschwindigkeitsüberschreitung, Urteil, rechtfertigender Notstand, Rdn 2240; → Rotlichtverstoß, Urteil, rechtfertigender Notstand, Rdn 3418; → Sonstige Verkehrsordnungswidrigkeiten, Urteil, rechtfertigender Notstand, Rdn 3460). |
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Auch die tatsächlichen Fragen sind oftmals nicht einfach. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat es der Verteidiger nicht selten mit der "Aussage-gegen-Aussage"-Situation zu tun, so z.B., wenn Polizeibeamte vernommen werden. |
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Häufig droht im Laufe des Verfahrens eine Verschärfung der (Verfahrens-)Situation durch
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die (angedrohte) Verschärfung der bislang im Bußgeldbescheid festgesetzten Maßnahme (z.B. auch noch die Festsetzung eines Fahrverbots), |
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den Hinweis auf die Erhöhung der Geldbuße, |
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das Drohen, statt einem nicht eintragungspflichtigen Bußgeld ein in das FAER einzutragendes Bußgeld zu verhängen, |
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die (angedrohte) Überleitung vom OWi-Verfahren ins Strafverfahren (§ 81; → Übergang vom Bußgeld- zum Strafverfahren, Rdn 3651), |
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die (angedrohte) Verurteilung wegen einer Vorsatztat anstelle der bisher angenommenen Fahrlässigkeitstat. |
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Rdn 3965
2. Der Verteidiger sitzt also nicht selten zwischen allen Stühlen. Aus diesem Dilemma kann er sich nur dadurch befreien, dass er sich auf seine Stellung als Verteidiger besinnt: Er ist neben Gericht und Verfolgungsbehörde gleichwertiges "Institut/Organ der Rechtspflege", das vor allem die Interessen des Mandanten zu wahren hat (dazu eingehend BVerfG NJW 1975, 103; 1980, 1677; 2004, 1305 [Geldwäscheentscheidung]; Meyer-Goßner/Schmitt, vor § 137 Rn 1 m.w.N.; Burhoff, EV, Rn 4967 ff.).
☆ Was kann/muss daher der Verteidiger tun ?Verteidiger tun?
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Der Verteidiger muss versuchen, den Fall seines Mandanten aus der Masse herauszuheben und die Besonderheit der Situation zu betonen, um dem Interesse des Mandanten an einer individuellen Beurteilung gerecht zu werden. |
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Der Verteidiger muss versuchen, die Justiz von einer standardisierten Behandlung des Falls abzuhalten. |
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Der Verteidiger muss sich gegen die Bestrebungen wehren, durch drohende Verschärfung der Rechtsfolgen den Mandanten zum Einlenken zu bewegen. |
Siehe auch: → Übernahme des Mandats, Allgemeines, Rdn 3673 m.w.N.; Verteidigung im Owi-Verfahren, allgemeine Verteidigerhinweise, Rdn 3966 m.w.N.