Das Wichtigste in Kürze:

1. Die HV darf nur gegen einen verhandlungsfähigen Angeklagten durchgeführt werden.
2. Bei Volljährigen entfällt die Verhandlungsfähigkeit i.d.R. nur infolge schwerer körperlicher oder seelischer Mängel oder Krankheiten.
3. Ist der Angeklagte endgültig verhandlungsunfähig, liegt ein Verfahrenshindernis vor, das zur endgültigen Einstellung des Verfahrens nach § 206a, bei nur vorübergehender Verhandlungsunfähigkeit zur vorläufigen Einstellung nach § 205 führt.
4. Der Verteidiger muss die Verhandlungsfähigkeit seines Mandanten in jeder Lage des Verfahrens sorgfältig prüfen. Tauchen die Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit erst während der HV auf, muss der Verteidiger unverzüglich durch geeignete Anregungen an das Gericht dafür sorgen, dass auf den (beeinträchtigten) Gesundheitszustand seines Mandanten Rücksicht genommen wird.
 

Rdn 3385

 

Literaturhinweise:

Bischoff/Kusnik/Bünnigmann, Die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten im Strafverfahren, StraFo 2015, 222

Buschmann/Peters, Der kranke Angeklagte in der Hauptverhandlung, ArchKrim 2011, 160

Cabanis, Verhandlungs- und Vernehmungs(un)fähigkeit, StV 1984, 87

Eisenberg, Zum Verfahren der Unterbringung zur Beobachtung (§ 81 StPO) betreffend die Frage der Verhandlungsfähigkeit im Stadium der Hauptverhandlung – Zugleich Besprechung der Beschlüsse des LG Augsburg vom 3.2.2014 und des OLG München vom 5.3.2014, NStZ 2015, 433

Fiegenbaum/Raabe, Verhandlungs-, Haft- und Schuldfähigkeit bei Patienten mit Angst- bzw. Panikstörungen, StraFo 1997, 97

Fischer/Gauggel/Lämmler, Möglichkeiten der neurologischen Prüfung der Verteidigungsfähigkeit, NStZ 1994, 316

Gatzweiler, Der Sachverständige zur Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit bzw. Verhandlungsunfähigkeit, StV 1989, 167

ders., Tendenzen in der neueren Rechtsprechung zu Fragen der Verhandlungsfähigkeit bzw. Verhandlungsunfähigkeit, in: Festgabe für Heino Friebertshäuser, 1997, S. 277

Rath, Zum Begriff der Verhandlungsfähigkeit im Strafverfahren, GA 1997, 214

Widmaier, Verhandlungs- und Verteidigungsfähigkeit – Verjährung und Strafmaß

zu den Entscheidungen des BGH und des BVerfG im Revisionsverfahren gegen Erich Mielke, NStZ 1995, 361.

 

Rdn 3386

1.a) Die HV darf nur gegen einen verhandlungsfähigen Angeklagten durchgeführt werden. Der Angeklagte ist verhandlungsfähig, wenn er in der Lage ist, in oder außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen, Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen (st.Rspr.; u.a. BVerfG StV 1995, 617 f.; Beschl. v. 17.10.2012 – 2 BvR 736/11 [insoweit nicht in StV 2013, 521]; Beschl. v. 13.6.2017 – 2 BvR 1313/17; Bischoff u.a. StraFo 2015, 222, 225 f.; OLG Rostock NJ 2016, 127; BGHSt 41, 72 m.w.N. [für das Revisionsverfahren]; BGH NStZ 1996, 242; NStZ-RR 2013, 155; dazu BVerfG NJW 1995, 1951; 2002, 51; 2005, 2382; NStZ-RR 1996, 38; EuGRZ 2009, 645 [Herzerkrankung]; OLG Dresden StraFo 2015, 149 [Einspruch gegen Strafbefehl]; OLG Düsseldorf StraFo 2015, 154 [Ls.]; OLG Stuttgart NStZ-RR 2006, 313; LG Wuppertal StraFo 2015, 151; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn 97; eingehend Bischoff u.a. StraFo 2015, 222; krit. Rath GA 1997, 214). Verhandlungsunfähigkeit liegt schon dann vor, wenn der Angeklagte zwar für kürzere Zeitspannen zur persönlichen Wahrnehmung seiner Rechte imstande ist, diese Zeitspannen aber nicht ausreichen, um das Verfahren ordnungsgemäß, insbesondere in angemessener Zeit, zu Ende zu führen (BVerfGE 41, 246).

 

Rdn 3387

b) Je nach den Anforderungen für die anstehenden Prozesshandlungen kann eine unterschiedliche Beurteilung erforderlich sein, u.U. kann also auch ein Geisteskranker oder ein Taubstummer verhandlungsfähig sein. Zu berücksichtigen ist die mutmaßliche Dauer der HV, sodass z.B. bei einem (kranken) Angeklagten für eine zu erwartende Verhandlungsdauer von einem Jahr Verhandlungsfähigkeit nicht (mehr), bei einer nur eintägigen HV hingegen (noch) Verhandlungsfähigkeit gegeben sein kann. Entscheidend ist, dass der Angeklagte sich im gesamten Zeitraum der HV in einem solchen Zustand geistiger Klarheit und Freiheit befindet, dass das Gericht mit ihm strafgerichtlich verhandeln kann (OLG Karlsruhe NJW 1978, 601; LG Berlin StraFo 1999, 304; s. zur Verhandlungsunfähigkeit im Einzelnen die Bsp. und Ausführungen bei Cabanis StV 1984, 87 ff. m.w.N.; Gatzweiler, S. 278 ff.). Für die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten im Revisionsverfahren ist erforderlich, dass der Angeklagte die Fähigkeit hat, über die Einlegung der Revision verantwortlich zu entscheiden, zudem sollte er während der Dauer des Revisionsverfahrens wenigstens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit dem Verteidiger über die Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage sein (BGH, Beschl. v. 4.7.2018 – 5 StR 46/18, NStZ 2018, 652; NStZ-RR 2013, 155).

 

Rdn 3388

Die Anforderungen an die Verhandlungsfähigkeit sind je nach Verfahrensart und -lage unterschiedlich. Eine pauschale Festlegung ist nicht möglich (BGH, Bes...

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