Rdn 3450

 

Literaturhinweise:

Jessnitzer, Zur Verwertung des schriftlichen Berichts des Blutentnahmearztes im Strafverfahren, BA 1970, 473

Krüger, Erklärungen von Behörden, Sachverständigen und Ärzten im Strafprozess,, in

Festgabe für Imme Roxin, 2012, S. 601

ders., Zur Änderungen von § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO durch das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens", StV 2018, 316

Kuhlmann, Nochmals: Zur Verwertung des schriftlichen Berichts des Blutentnahmearztes, BA 1971, 276

Trendelenburg, Besprechung eines BGH-Beschlusses v. 21.9.2011 (1 StR 367/11, NJW 2012, 694) – Zu den Grenzen der Verlesung ärztlicher Atteste, ZJS 2012, 261).

 

Rdn 3451

1. Die Verlesbarkeit von ärztlichen Attesten richtet sich nach § 256 Abs. 1 Nr 2 (zum Sinn und Zweck der Regelung Krüger StV 2018, 316). Diese Form des Urkundenbeweises enthält eine Ausnahme vom → Unmittelbarkeitsgrundsatz, Teil U Rdn 3116, des § 250. Sie ist restriktiv auszulegen (Trendelenburg ZJS 2012, 261).

 

Rdn 3452

2. § 256 Abs. 1 Nr. 2 ist durch das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" v. 17.8.2017 geändert worden. Nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 a.F. durften ärztliche Atteste grds. nur dann verlesen werden, wenn sie sich auf Körperverletzungen bezogen, die nicht zu den schweren i.S.d. §§ 226, 227 StGB gehören (vgl. zum alten Recht Krüger StV 2018, 316). Angeknüpft wurde also an das zu beweisende Delikt – "nicht zu den schweren". In der neuen Fassung von § 256 Abs. 1 Nr. 2 ist jetzt die Verlesbarkeit eines ärztlichen Attests nicht mehr an das zu beweisende Delikt – "nicht zu den schweren" – geknüpft, sondern an den Inhalt des Attests. Denn verlesbar sind jetzt "unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen" (BGH, Beschl. v. 7.8.2019 – 1 StR 57/19, StRR 3/2020, 13).

 

☆ Diese Änderung hat zur Folge, dass die Verlesung ärztlicher Atteste auch zulässig ist, wenn es nicht nur um den Nachweis der Körperverletzung geht, sondern auch eine andere Straftat nachgewiesen werden soll. Auch der Vorwurf, der dem Angeklagten in der Anklage gemacht wird, ist unbeachtlich. Das Attest kann daher auch verlesen werden, wenn die Verlesung nur für die Rechtsfolgen von Bedeutung ist, etwa für das Vorliegen eines Regelbeispiels bei § 176 StGB (a.A. zur alten Rechtslage BGH NJW 1980, 651) oder die Verletzungen des Opfers einer Gewalttat. Eine Verlesung darf darüber hinaus auch noch zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen erfolgen (BeckOK-StPO- Ganter , § 256 Rn 17; SSW/StPO- Franke , § 256 Rn 8, Meyer-Goßner/Schmitt ; § 256 Rn 20).auch eine andere Straftat nachgewiesen werden soll. Auch der Vorwurf, der dem Angeklagten in der Anklage gemacht wird, ist unbeachtlich. Das Attest kann daher auch verlesen werden, wenn die Verlesung nur für die Rechtsfolgen von Bedeutung ist, etwa für das Vorliegen eines Regelbeispiels bei § 176 StGB (a.A. zur alten Rechtslage BGH NJW 1980, 651) oder die Verletzungen des Opfers einer Gewalttat. Eine Verlesung darf darüber hinaus auch noch zur Überprüfung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen erfolgen (BeckOK-StPO-Ganter, § 256 Rn 17; SSW/StPO-Franke, § 256 Rn 8, Meyer-Goßner/Schmitt; § 256 Rn 20).

 

Rdn 3453

 

3. Hinweise für den Verteidiger!

Der Verteidiger muss, wenn ärztliche Atteste verlesen werden sollen, auf Folgendes besonders achten:

a) Verlesbar sind nur schriftliche Bestätigungen approbierter Ärzte über eigene Wahrnehmungen bei der Untersuchung und Behandlung sowie zusätzlich darin enthaltene gutachtliche Äußerungen über Schwere und Folgen der Verletzung, Minderung der Erwerbsfähigkeit und die Heilungschancen (RGSt 19, 364; LR-Stuckenberg, § 256 Rn 43). Aus dem Attest muss erkennbar sein, von wem es stammt, das genügt (BGH, Urt. v. 10.3.2021 – 6 StR 285/20, NStZ 2021, 507; Beschl. v. 4.7.2019 – 4 StR 508/18, NStZ-RR 2019, 285; BGH, Beschl. v. 7.8.2019 – 1 StR 57/19, StRR 3/2020, 13; OLG Düsseldorf StV 2015, 542; s.a. BGH StraFo 2007, 331; OLG Bamberg, Beschl. v. 6.2.2016 – 3 Ss OWi 22/16 für Verlesung nach § 256 Abs. 1 Nr. 3), die Unterschrift des Ausstellers muss nicht lesbar sein (BGH, Urt. v. 10.3.2021 – 6 StR 285/20, NStZ 2021, 507 m.w.N.). Es muss aber ausgeschlossen sein, dass ein bloßer Entwurf vorliegt (BGH StraFo 2007, 331)

 

Rdn 3454

b) Verlesen werden darf auch die Kopie eines ärztlichen Attestes (BGH, Beschl. v. 4.7.2019 – 4 StR 508/18, NStZ-RR 2019, 285).

 

Rdn 3455

c)aa) Nicht verlesen werden dürfen/sollen – wie schon in der Vergangenheit – schriftliche Aufzeichnungen über Umstände/Tatsachen, die der Arzt bei der Untersuchung (ohne besondere Sachkunde) festgestellt hat (SSW/StPO-Franke, § 256 Rn 16; vgl. a. BGH, Urt. v. 10.3.2021 – 6 StR 285/20, NStZ 2021, 507). Insoweit muss der Arzt als Zeuge vernommen werden (BGH StV 2011, 715; s. wohl a. Krüger StV 2018, 316, 318). Dazu folgende

 

Rdn 3456

 

Rechtsprechungsbeispiele

Zustand der Kleidung eines Vergewaltigungsopfers, über Angaben des Verletzten über den Tathergang (BGH StV 1984, 142; OLG Hamburg StV 2009, 9),
sons...

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