Leitsatz

Zu klären war in diesem Verfahren die Frage, ob die zweijährige Frist zur Anfechtung der Vaterschaft gehemmt ist, solange der Anfechtungsberechtigte widerrechtlich durch Drohung an der Anfechtung gehindert ist (§ 1600b Abs. 6 S. 1 BGB).

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist die im Jahre 1983 geborene Mutter des Kindes S., das im Jahre 2001 geboren wurde. Der Beklagte hatte kurzfristig mit der Klägerin in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt und mit ihrer Zustimmung die Vaterschaft für das Kind S. am 1.3.2001 anerkannt. Die Klägerin hat ihre Zustimmung am 16.3.2001 und das Landratsamt A. für das Kind am 28.3.2001 erklärt.

Mit gerichtlichem Vergleich vom 26.5.2004 vor dem FamG hatten sich die Parteien auf ein gemeinsames Sorgerecht für das Kind und die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Beklagten geeinigt. Das Kind lebte seit dem 26.5.2004 bei dem Beklagten.

Das Kind S. stammt nicht von dem Beklagten, sondern von dem Stiefvater der Klägerin ab. In einem bei der Staatsanwaltschaft anhängigen Verfahren gegen ihn wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung, des sexuellen Missbrauchs und der Nötigung zum Geschlechtsverkehr zum Nachteil der Klägerin ergab ein in Auftrag gegebenes DNA-Gutachten, dass er - der Stiefvater der Klägerin - mit einem Wahrscheinlichkeitswert von 99,99999 % der biologische Vater des Kindes S. ist.

Die Klägerin trug in dem Anfechtungsverfahren vor, die zweijährige Anfechtungsfrist des § 1600b Abs. 1 S. 1 BGB sei durch Hemmung infolge dauernder widerrechtlicher Drohung i.S.d. § 1600b Abs. 6 S. 1 BGB gewahrt geblieben.

In dem Zeitraum von August 1995 bis Juni 2004 habe ihr Stiefvater mit ihr gegen ihren Willen in weit über 100 Fällen den Geschlechtsverkehr vollzogen. Soweit sie sich geweigert habe, habe er sie geschlagen und gedroht, sie in ein Heim zu stecken oder ihr und ihren Geschwistern wehzutun. Nach der Geburt des Kindes S. habe er ihr im Übrigen gedroht, dem Kind etwas anzutun. Im Hinblick auf den von dem Stiefvater ausgeübten Druck habe sie, die Klägerin, den Vollzug des Geschlechtsverkehrs mit ihm geduldet und es nicht gewagt, die Taten öffentlich zu machen.

Das AG hat durch Urteil vom 21.4.2008 festgestellt, dass der Beklagte nicht der Vater des Kindes S. ist.

Hiergegen richtete sich die Berufung des Beklagten.

Die von ihm für das Berufungsverfahren beantragte Prozesskostenhilfe wurde ihm nicht gewährt.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des OLG war das AG zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin berechtigt war, die Vaterschaft gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 3 BGB als Mutter des betroffenen Kindes anzufechten.

Für die Kindesmutter beginne die Anfechtungsfrist regelmäßig zum frühestmöglichen Zeitpunkt des § 1600b Abs. 2 BGB mit der Geburt des Kindes zu laufen, wenn sie die gegen die Vaterschaft des Scheinvaters sprechenden Umstände schon bei Geburt kannte.

Das AG sei im vorliegenden Fall zutreffend davon ausgegangen, dass die Anfechtungsfrist für die Klägerin mit dem Zeitpunkt begonnen habe, in dem sie von den Umständen erfahren habe, die gegen die Vaterschaft sprechen. Das AG hatte insoweit auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Vaterschaftsanerkennung am 28.3.2001 abgestellt, da die Kindesmutter gewusst habe, dass es in der Empfängniszeit zum Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann, ihrem Stiefvater, gekommen war. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn sie bei der Zeugung nicht bei Bewusstsein gewesen sei oder aufgrund besonderer Umstände davon habe ausgehen können, dass das Kind nicht durch den Mehrverkehr gezeugt worden sei.

Der Fristablauf sei gehemmt, solange der Anfechtungsberechtigte widerrechtlich durch Drohung an der Anfechtung gehindert sei (§ 1600b Abs. 6 S. 1 BGB). Eine Drohung sei die Erregung von Furcht vor einem künftigen Übel, auf das der Drohende Einfluss nehmen zu können behaupte.

Das AG habe die Hemmung der Frist des § 1600b Abs. 6 BGB aufgrund der von der Klägerin vorgetragenen Umstände und ihrer Parteivernehmung zu Recht bejaht.

Auch die Berufungsangriffe des Beklagten ließen eine andere Beurteilung nicht zu. Soweit der Beklagte in der Berufungsbegründung vortrage, eine Bedrohungssituation für die Klägerin, deren Familie und deren eigene Kinder hätte nicht vorgelegen, handele es sich um bloße Mutmaßungen und Schlussfolgerungen des Beklagten, die substantiierten Sachvortrag nicht ersetzen könnten.

Aus dem Urteil des LG ergebe sich, dass der Beklagte eingeräumt habe, zu der Klägerin sexuelle Kontakte unterhalten zu haben, seit sie 16 Jahre alt gewesen sei.

Aus den oben genannten Gründen könne die Rechtsverfolgung des Beklagten nach dem gegenwärtigen Sachstand keine Aussicht auf Erfolg haben, so dass ihm Prozesskostenhilfe zu verweigern sei.

 

Link zur Entscheidung

Thüringer OLG, Beschluss vom 03.09.2008, 1 UF 172/08

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