Leitsatz

Kernproblem der Entscheidung war die Frage, wann in einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren von einer sozio-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind auszugehen ist.

 

Sachverhalt

Der Kläger ist der leibliche Vater der am 19.4.2004 geborenen Beklagten zu 1), wie aufgrund des erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachtens feststeht. Dieser Umstand war zwischen den Parteien auch nicht streitig.

Der Beklagte zu 2) lebte mit der Kindesmutter zusammen. Er erkannte die Vaterschaft für die Beklagte zu 1) am 14.5.2004 an.

Das erstinstanzliche Gericht hatte antragsgemäß festgestellt, dass nicht der Beklagte zu 2) der Vater der Beklagten zu 1) ist, sondern der Kläger. Das Urteil enthielt weder Tatbestand noch Entscheidungsgründe. Gegen dieses Urteil richtete sich die Berufung der Beklagten zu 1), die beantragte, die angefochtene Entscheidung abzuändern und die Klage abzuweisen.

 

Entscheidung

Das OLG hielt die Berufung für zulässig und begründet.

Dass der Beklagte zu 2) sich nicht am Berufungsrechtsstreit beteiligt habe, sei unschädlich, da er wegen § 1600e Abs. 1 2. Var. BGB notwendiger Streitgenosse der Beklagten zu 1) sei. Durch die rechtzeitige Berufung der Beklagten zu 1) sei er selbst Partei im Rechtsmittelverfahren (vgl. BGH, FamRZ 1976, 376; OLG Karlsruhe ZIP 1991, 101). Das AG habe der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klage sei unbegründet. Zwar sei der Kläger nach § 1600 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 2. Hs. BGB anfechtungsberechtigt, da er eidesstattlich versichert habe, der Kindesmutter während der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt zu haben und er der leibliche Vater der Beklagten zu 1) sei. Die weiteren Voraussetzungen der Anfechtung nach § 1600 Abs. 2 BGB seien jedoch nicht gegeben.

Diese Vorschrift sei hier anwendbar, auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und den Beklagten fänden die §§ 1591 ff. BGB in ihrer aktuellen Fassung Anwendung. Im vorliegenden Fall sei § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB einschlägig.

Abs. 2 und 3 BGB seien am 30.4.2004 und damit 11 Tage nach der Geburt der Beklagten zu 1) in Kraft getreten. Dies ergebe sich aus Art. 3 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft und das Umgangsrecht von Bezugspersonen des Kindes, zur Registrierung von Vorsorgeverfügungen und zur Einführung von Vordrucken für die Vergütung von Berufsbetreuern vom 23.4.2004. Eine Übergangsregelung sei nicht vorgesehen, Art. 229 § 10 EGBGB betreffe lediglich die Frage des Fristbeginns i.S.v. § 1600b Abs. 1 BGB im Falle einer Anfechtung nach § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Die Neuregelung gelte deshalb auch für bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehende kindschaftsrechtliche Verhältnisse (BGH, FamRZ 2005, 705 zu § 1685 Abs. 2 BGB).

Nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien bestehe zwischen den Beklagten eine sozial-familiäre Bindung, so dass die Anfechtung des Klägers nach § 1600 Abs. 2 1. Hs. BGB nicht möglich sei. Eine sozial-familiäre Bindung bestehe, wenn der rechtliche Vater - hier der Beklagte zu 2) - für das Kind tatsächliche Verantwortung trage. Dies sei in der Regel der Fall, wenn der rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet sei oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt habe, § 1600 Abs. 3 S. 2 BGB.

Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung hätten Kind und rechtlicher Vater seit mehr als zwei Jahren zusammengelebt. Dieser Umstand sei unstreitig und vom Kläger nicht substantiiert bestritten. Er sei auch ausreichend, um von einem "längeren" Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft ausgehen zu können.

Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein "längeres" Zusammenleben vorliege, sei entgegen der Auffassung des Klägers nicht der Zeitpunkt der Klageerhebung, sondern der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Das Gesetz nenne keinen Zeitpunkt und es sei nicht ersichtlich, warum hier von dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung abgewichen werden solle.

Sinn und Zweck der Regelung in § 1600 Abs. 2 und 3 BGB sei, die Familie als sozialen Verband zu schützen und damit das Vertrauensverhältnis, das sich zwischen einem Kind und seinen Bezugspersonen entwickelt habe. Dieses Vertrauensverhältnis solle nicht durch das Dazwischentreten eines Dritten gefährdet werden. Dass hierdurch die Anfechtung wegen der durch die Einholung eines Gutachtens verursachten Länge des Verfahrens praktisch unmöglich werde, wenn Kind und rechtlicher Vater während der Prozessdauer weiter zusammen lebten, sei im Interesse des Kindes hinzunehmen.

 

Link zur Entscheidung

OLG Hamm, Urteil vom 04.08.2006, 9 UF 32/06

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