Leitsatz

Der geschäftsführende Alleingesellschafter einer GmbH übt eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit aus. Forderungen auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer, die ihm gegenüber nach den Grundsätzen der Durchgriffshaftung geltend gemacht werden, sind Forderungen aus Arbeitsverhältnissen im Sinne des § 304 InsO.

 

Sachverhalt

Der früher als geschäftsführender Alleingesellschafter der insolventen X-GmbH tätige Beschwerdeführer beantragte die Einleitung eines Regelinsolvenzverfahrens, Restschuldbefreiung und Stundung der Verfahrenskosten. Er trug vor, sämtliche Verbindlichkeiten – Inanspruchnahme aus Bürgschaften, Durchgriffshaftung für rückständige Sozialversicherungsbeiträge sowie Umsatz- und Lohnsteuer – gründeten in der genannten Tätigkeit. Es handele sich teilweise um Forderungen aus Arbeitsverhältnissen. Deshalb sei kein Verbraucherinsolvenzverfahren durchzuführen. Der BGH hob die ablehnenden Beschlüsse der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zurück.

 

Entscheidung

Der geschäftsführende Alleingesellschafter der GmbH übt in der Regel eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit aus. Eine solche Aktivität liegt grundsätzlich vor, wenn sie im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko entfaltet wird, also bei gewerblicher Tätigkeit, aber auch bei Ausübung freier Berufe, die kraft Gesetzes oder kraft Überlieferung nicht dem gewerblichen Bereich zugeordnet sind[1]. Nicht selbständig beruflich aktiv sind abhängig Beschäftigte und Personen, die nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind. Persönlich haftende Gesellschafter von Personenhandelsgesellschaften werden dagegen mit der Aufnahme des Geschäftsbetriebs Kaufleute und sind damit selbständig beruflich tätig, weil sie die eigentlichen Unternehmensträger sind[2].

Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH üben grundsätzlich keine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit aus, weshalb teilweise die Auffassung vertreten wird, für sie sei stets das Verbraucherinsolvenzverfahren nach § 304 InsO einschlägig[3]. Dies trifft aber nicht zu, wenn der Gesellschafter an der Gesellschaft mehrheitlich beteiligt[4] und gleichzeitig als Geschäftsführer tätig ist.

Ziel des § 304 InsO ist es, aktive oder ehemalige Kleinunternehmer aus dem Anwendungsbereich des Verbraucherinsolvenzverfahrens grundsätzlich auszuschließen. Eine Ausnahme soll lediglich für Kleinunternehmer gelten, deren Verschuldungsstruktur der von Verbrauchern im Wesentlichen entspricht. Kann die zu beurteilende Tätigkeit zu einer Verschuldungsstruktur führen, die der eines Verbrauchers nicht entspricht, muss sie im Sinne des § 304 InsO dem Begriff der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit unterfallen. Ein GmbH-Geschäftsführer wird zwar nicht unmittelbar im eigenen Namen, in eigener Verantwortung, für eigene Rechnung und auf eigenes Risiko tätig. Angesichts seiner Teilhabe am Erfolg oder Misserfolg der Gesellschaft ist er aber wirtschaftlich betrachtet wie bei einer Tätigkeit im eigenen Namen betroffen. Dies zeigt sich typischerweise auch im Falle des Misserfolgs des Unternehmens. Der Gesellschafter haftet u.U. in großem Umfang für Forderungen, die typischerweise bei einem selbständigen Unternehmer bestehen, etwa für rückständige Lohn- und Umsatzsteuer bzw. nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge.

 

Praxishinweis

Hier scheidet ein Verbraucherinsolvenzverfahren bereits deshalb aus, weil Forderungen "aus einem Arbeitsverhältnis" i.S.d. § 304 Abs. 1 Satz 2 InsO geltend gemacht werden. Dieser Begriff ist weit auszulegen. Hierzu zählen daher auch Ansprüche aus Durchgriffshaftung, wenn sie Forderungen der Sozialversicherungsträger und des Finanzamtes betreffen.

 

Link zur Entscheidung

BGH-Beschluss vom 22.9.2005, IX ZB 55/04

[1] Vgl. z.B. Kohte, in: Frankfurter Kommentar zu InsO, 3. Aufl., Neuwied 2001, § 304 Rz. 6
[2] Vgl. Fuchs, Die Änderungen im Verbraucherinsolvenzverfahren – Problemlösung oder neue Fragen?, NZI 2002, S. 239
[3] Vgl. ebenda, S. 240
[4] Vgl. Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl., München 2004, § 304 Rz. 13

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