LfSt Bayern v. 6.11.2013, S 0622.1.1 - 22/2 St 42
1. Auslegung
Verfahrenserklärungen sind in entsprechender Anwendung des § 133 BGB wie Willenserklärungen auszulegen (siehe BFH-Urteil vom 8.2.1974, BStBl 1974 II S. 417).
Hierbei ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.
Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (siehe BFH-Urteil vom 6.2.1979, VII R 82/78, BStBl 1979 II S. 374). Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Verfahrenserklärung auslegungsfähig und -bedürftig ist. Eine solche Maßnahme kommt z.B. dann in Betracht, wenn es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten fehlt (vgl. BFH-Urteil vom 11.9.1986, IV R 11/83, BStBl 1987 II S. 5).
Ist danach unklar, welchen Inhalt die Erklärung haben soll, ist davon auszugehen, dass der Rechtsbehelf bzw. Antrag beabsichtigt war, der den Belangen des Steuerpflichtigen entspricht und der zu dem angestrebten Erfolg führen kann (siehe BFH-Urteil vom 18.12.1985, BFH/NV 1986 S. 675, und BFH-Urteil vom 11.9.1986, a.a.O.). Dabei dürfen auch außerhalb der Erklärung liegende Umstände berücksichtigt werden (vgl. BFH-Urteil vom 28.11.2001, BFH/NV 2002 S. 613 m.w.N.).
Bestehen Zweifel, ob ein Schreiben einen Einspruch oder einen Antrag auf schlichte Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a) AO darstellt, so ist stets ein Einspruch anzunehmen, da er die Rechte des Steuerpflichtigen umfassender wahrt als ein Korrekturantrag, AEAO vor § 347 Nr. 2.
Keine Möglichkeit für eine Auslegung besteht allerdings, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat (BFH-Urteil vom 29.7.1986, IX R 123/82, BFH/NV 1987 S. 359-361).
Beispiel:
Eine von einem Steuerberater stammende Formulierung in einem Einspruchsschreiben, es werde „gegen den Körperschaftsteuerbescheid” Einspruch eingelegt, kann nicht auch als Einspruch gegen den Bescheid über die Festsetzung von Zinsen zur Körperschaftsteuer ausgelegt werden. Die Erklärung ist eindeutig und nicht auslegungsbedürftig (vgl. BFH-Urteil vom 28.11.2001, a.a.O.).
Der BFH führt zur Begründung an, dass mit dieser Formulierung nur der Körperschaftsteuerbescheid angefochten wurde, der Teil des Sammelbescheides (Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Zinsfestsetzung) war.
2. Umdeutung
Verfahrenserklärungen können auch umgedeutet werden (siehe BFH-Beschluss vom 23.11.1978, I R 56/76, BStBl 1979 II S. 173).
Eine solche Sachbehandlung scheidet jedoch bei rechtskundigen Personen regelmäßig aus, weil davon ausgegangen werden kann, dass sich dieser Personenkreis über die rechtliche Tragweite seiner Erklärungen im Klaren ist (siehe BFH-Urteile vom 27.11.1959, VI 211/58, HFR 1961 S. 39, und vom 24.6.1964, HFR 1965 S. 177, II 76/63, BFH-Beschluss vom 24.9.1970, II B 28/70, BStBl 1970 II S. 813, 814 ; sowie BFH-Urteil vom 29.7.1986, a.a.O.). Von den Angehörigen der steuer- und rechtsberatenden Berufe kann verlangt werden, dass sie den Rechtsbehelf wählen oder den Antrag stellen, der dem Gesetz entspricht (siehe BFH-Urteil vom 10.1.1958, BStBl 1958 III S. 119, 120 und BFH-Beschluss vom 24.9.1970, a.a.O.). Dieser Grundsatz wird dann noch verstärkt, wenn ein Verwaltungsakt mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung ergangen ist, weil dadurch auf den zutreffenden Rechtsbehelf hingewiesen worden ist.
Ein Steuerpflichtiger, der durch einen Angehörigen der steuer- und rechtsberatenden Berufe vertreten wird, ist daher in seinen Prozesserklärungen stets wörtlich zu nehmen (siehe BFH-Beschluss vom 9.6.1986, IX B 90/85, BStBl 1986 II S. 679 , 680).
3. Auslegung und Umdeutung von Einspruchsschreiben bei Ehegatten
Wegen der Frage der Umdeutung bzw. Auslegung von Einspruchsschreiben bei Ehegatten siehe Karte 1 zu § 360 AO.
Hinweis:
Die bisherige Karte 1 zu § 357 AO (Kontroll-Nr. 2/2003) ist auszureihen.
Normenkette
AO 1977 § 357