Leitsatz

Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beiordnung eines Rechtsanwalts in Kindschaftssachen erforderlich ist.

 

Sachverhalt

Geschiedene Eltern - beide türkischstämmig - stritten um das Sorgerecht für ihren gemeinsamen Sohn, der im Jahre 1993 geboren war. Das Sorgerecht war bereits Gegenstand des vorausgegangenen langwierigen Scheidungsverfahrens der zerstrittenen Beteiligten gewesen. Der Sohn lebte seither bei seinem Vater, die im Jahre 1997 geborene Tochter bei seiner Mutter. Die Mutter sah das Kindeswohl des Sohnes gefährdet, weil sich aus ihrer Sicht der Vater nicht ausreichend um ihn kümmerte. Der Sohn treibe sich herum. Er sei bereits straffällig geworden und besuche auch die Schule nicht mehr regelmäßig.

In dem von ihr eingeleiteten Sorgerechtsverfahren beantragte die Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe und machte geltend, zwar der deutschen Sprache mächtig zu sein, sich aber in Wort und Schrift nicht gut ausdrücken zu können. Sie sei daher auch nicht in der Lage, die richtigen Anträge zu stellen.

Das AG hat der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt, die Beiordnung ihrer zur Vertretung bereiten Anwältin jedoch abgelehnt, weil eine über das übliche Maß hinausgehend Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nicht erkennbar sei.

Gegen diese Entscheidung wandte sich die Antragstellerin mit der Beschwerde.

Das Rechtsmittel war erfolgreich.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des OLG war der Antragstellerin im konkreten Fall die von ihr ausgewählte Rechtsanwältin als Verfahrensbevollmächtigte beizuordnen.

In Familiensachen des § 111 Nr. FamFG (Kindschaftssachen) sei die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben. Die Beiordnung eines Anwalts im Rahmen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe habe nur zu erfolgen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheine. Nach der amtlichen Begründung solle die Erforderlichkeit einer Anwaltsbeiordnung sich allein nach objektiven Kriterien richten. Für die Beiordnung eines Rechtsanwalts solle es ausschließlich auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ankommen.

Das OLG vertrat die Auffassung, auch subjektive Kriterien müssten berücksichtigt werden, weil nur so dem aus dem Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip folgenden Gebot der Gleichbehandlung von Bemittelten und Unbemittelten (vgl. dazu BVerfG NJW 2004, 1789; NJW-RR 2007, 1713; NJW 2008, 1831) zur Verwirklichung eines effektiven Rechtsschutzes Genüge getan werde.

Deshalb sei - unter Beachtung der Grundsätze der Berücksichtigung des Einzelfalles - nach wie vor von Bedeutung, inwieweit ein Beteiligter subjektiv in der Lage sei, seine Rechte und Interessen im Verfahren angemessen selbst zu vertreten. Der vorliegende Fall sei angesichts der widersprechenden Sachanträge und des widersprechenden Vortrages der Parteien zu der Frage, wem die elterliche Sorge für den gemeinsamen Sohn zu übertragen sei, schon nicht einfach gelagert. Für die Frage, ob allein die Übertragung des Sorgerechts auf die Antragstellerin dem Kindeswohl am besten diene, bedürfe es der Darlegung aller für diese Frage entscheidenden Kriterien durch die Antragstellerin. Insoweit seien Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergebe, dass die erstrebte Regelung des Sorgerechts dem Wohl des Kindes diene. Eine andere Sichtweise missachte das Gewicht der Schwierigkeiten, die sich für einen nicht rechtskundig beratenen und vertretenen Beteiligten selbst in verhältnismäßig einfach gelagerten Fällen dieser Art regelmäßig ergäben.

Es komme im Übrigen ein zu beachtendes subjektives Kriterium hinzu, dass die beteiligten Eltern - hier auch die Antragstellerin - türkischstämmig seien. Die Antragstellerin sei der deutschen Sprache nach eigenem Bekunden zwar hinreichend mächtig, könne sich aber in Wort und Schrift nicht angemessen ausdrücken.

Zum Termin zur mündlichen Verhandlung habe das FamG deshalb auch einen Dolmetscher geladen. Angesichts dieser Umstände könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin in der Lage gewesen wäre, die gebotenen Schritte zur Wahrnehmung ihrer Rechte eigenständig zu unternehmen und ihr Anliegen dem Gericht ausreichend schriftlich darzulegen.

 

Link zur Entscheidung

Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 10.12.2009, 10 WF 199/09

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