1 Leitsatz
Zur Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflicht können die Wohnungseigentümer den Gebrauch und die Benutzung von Wegen, die zu Stellplätzen führen, untersagen.
2 Normenkette
§§ 9a Abs. 2, 22 WEG
3 Das Problem
Das gemeinschaftliche Grundstück ist mit einem Parkhaus bebaut, das über 11 Ebenen verfügt. In den Ebenen 1 bis 9 befinden sich Pkw-Stellplätze. K, die Eigentümerin eines neben dem Grundstück gelegenen Hotels ist, ist Inhaberin sämtlicher Stellplätze auf den Ebenen 1 bis 3. Wegen möglicher Mängel am Brandschutz kommt es zu einer Begehung. Anschließend fordert die Stadt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer auf, durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen den Nachweis zu erbringen, dass die brandschutztechnischen Mindestanforderungen an die Feuerwiderstandsdauer der jeweiligen tragenden Bauteile (Decken, Stützen, Wände) der genutzten Bereiche eingehalten sind und die Standsicherheit auch im Brandfall ausreichend lange gewährleistet ist. Die Wohnungseigentümer beschließen daraufhin, dass die ersten 3 Ebenen des Parkhauses aus Gründen der Verkehrssicherheit ab sofort nicht mehr genutzt werden dürfen. Der Verwalter soll diesen Beschluss umsetzen. K wird es gestattet, die für den Brandschutz notwendigen baulichen Maßnahmen auf eigene Kosten durchzuführen. Gegen diesen Beschluss geht K vor. Sie meint, der Beschluss sei in Ermangelung einer Beschlusskompetenz nichtig. Der Beschluss entziehe ihr vollständig den Gebrauch und die Benutzung der Stellplätze.
4 Die Entscheidung
Dies sieht das LG anders! Die Erfüllung der Verkehrssicherungspflichten gehöre zu einer ordnungsmäßigen Verwaltung, über welche die Wohnungseigentümer beschließen könnten (Hinweis auf BGH, Urteil v. 13.12.2019, V ZR 43/19, Rz. 14). Zur Erfüllung müsse es den Wohnungseigentümern möglich sein, ein Betretungs- und Nutzungsverbot in Bezug auf das Gebäude oder einzelne Gebäudeteile auszusprechen, wenn und soweit eine vom Zustand des gemeinschaftlichen Eigentums ausgehende Gefährdung von Personen auf andere Weise nicht effektiv abgewendet werden könne. Durch diese Regelung sei es im Fall zwar nicht möglich, die Stellplätze zu erreichen, die im Sondereigentum stünden. Für die Stellplätze selbst hätten die Wohnungseigentümer aber keine Regelung getroffen. K könne auch keine Erhaltungsmaßnahmen durch alle Wohnungseigentümer verlangen. Dem stehe die Bestimmung des § 22 WEG entgegen, da das Gebäude zu mehr als der Hälfte seines Wertes zerstört sei. Der Begriff "Zerstörung" erfasse auch Fälle der Überalterung oder unterlassener Instandhaltung und Instandsetzung des Gebäudes.
Hinweis
- Welche Stelle in einer Wohnungseigentumsanlage verpflichtet ist, die Verkehrssicherungspflichten wahrzunehmen, war bis zum Inkrafttreten dem WEMoG im WEG nicht geklärt. Seit dem 1.12.2020 kann es hingegen keinem Zweifel mehr unterliegen, dass es nach § 9a Abs. 2 WEG allein eine Pflicht der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist, die Verkehrssicherungspflicht wahrzunehmen.
- Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer handelt durch ihre Organe. Ist ein Verwalter bestellt, ist es seine Aufgabe, die Durchführung der Pflicht durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sicherzustellen. Dies kann er dadurch tun, dass er durch Informationen, die Einholung von Angeboten und die Aufnahme eines Tagesordnungspunktes die Wohnungseigentümer dazu motiviert, nach § 19 Abs. 1 WEG einen Beschluss darüber zu fassen, welches Unternehmen zu welchen Konditionen die Verkehrssicherungspflichten wahrnehmen soll. Andererseits ist der Verwalter nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG aber auch befugt, ohne Beschluss der Wohnungseigentümer solche Maßnahmen zu treffen, die von untergeordneter Bedeutung sind und mit denen keine erheblichen Verbindlichkeiten für die Wohnungseigentümer verbunden sind. Ob ihm dies erlaubt, einen Vertrag über die Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflichten durch einen Dritten zu organisieren, ist noch unsicher und kann sich auch von Wohnungseigentumsanlage zu Wohnungseigentumsanlage unterscheiden. Ich rate daher an dieser Stelle zurzeit, in Wohnungseigentumsanlagen, in denen die Verkehrssicherung noch nicht organisiert ist, grundsätzlich die Wohnungseigentümer mit der Problematik zu befassen und sie nach vorheriger Einholung entsprechender Angebote einen Beschluss darüber fassen zu lassen. Anders liegt es auch nicht, wenn ein Verwalter eine Wohnungseigentumsanlage übernimmt und bei der Prüfung der Verwaltungsunterlagen feststellt, dass es an einer angemessenen Organisation der Verkehrssicherungspflicht fehlt. Diesen Mangel sollte der Bewerber nämlich bereits vor Übernahme seines Amtes festgestellt haben. Dann aber ist es möglich, mit seiner Bestellung auch einen Beschluss zur Verkehrssicherungspflicht zu fassen.
4.1 Entscheidung
LG München I, Urteil v. 7.10.2020, 1 S 9173/17 WEG