1 Leitsatz
Die Erfüllung der auf das gemeinschaftliche Eigentum bezogenen Verkehrssicherungspflichten gehört zu einer ordnungsmäßigen Verwaltung; für diese ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer im Innenverhältnis zu den Wohnungseigentümern nicht zuständig. Deshalb ist ein Dritter, auf den Verkehrssicherungspflichten übertragen werden, im Verhältnis zu den einzelnen Wohnungseigentümern nicht Erfüllungsgehilfe der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer.
2 Normenkette
§ 10 Abs. 6 Satz 3 WEG; § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB
3 SachverhaltDas Problem
Auf ein auf dem WEG-Grundstück abgestelltes Auto von Wohnungseigentümer K fällt am 2.5.2016 ein Ast. K meint, die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer müsse ihm den dadurch entstandenen Schaden erstatten. Die Gemeinschaft sieht das anders. Sie verweist darauf, mit einem Dritten einen Vertrag über die Durchführung von "verkehrssicherheitsrelevanten und baumpflegerischen Schnittmaßnahmen" geschlossen zu haben. Der Dritte prüfe den Baumbestand jährlich. Am 7.1.2016 habe er eine solche Kontrolle durchgeführt und keine Mängel festgestellt. Fraglich ist, ob die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer angesichts dieser Umstände für den Schaden einstehen muss.
4 Die Entscheidung
Der BGH verneint die Frage! Deliktische Ansprüche kämen nicht in Betracht. Auf Grundlage der LG-Feststellungen habe die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer eine etwaige Verkehrssicherungspflicht jedenfalls nicht verletzt. Denn diese habe sie auf einen Dritten delegiert. Ihre Absprache mit dem Dritten sei klar gewesen. Auf seinen Rat, es reiche, den Baumbestand nur einmal im Jahr zu kontrollieren, habe die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer vertrauen dürfen. Es bestehe auch kein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB. Die Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten gehöre zwar zu einer ordnungsmäßigen Verwaltung. Für diese sei die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in Bezug auf die Wohnungseigentümer aber nicht zuständig. Entsprechende Pflichten ließen sich auch nicht aus einer Schutzpflicht gegenüber den Wohnungseigentümern herleiten.
Hinweis
Wer für die Verletzung der Verkehrssicherungspflichten in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum einzustehen hat, ist derzeit unklar. Überblick:
- Anerkannt ist, dass ein nicht der Wohnungseigentümergemeinschaft angehörender Dritter die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in Anspruch nehmen kann. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer soll sich in diesem Fall sowohl das schuldhaft pflichtwidrige organschaftliche Verhalten des Verwalters als auch das Organisationsverschulden der Wohnungseigentümer zurechnen lassen müssen (Jacoby, ZWE 2017, S. 149, 155 und Dötsch/Greiner, ZWE 2014, S. 343, 344).
- Streitig ist hingegen, ob die Wohnungseigentümer oder die Gemeinschaft verkehrssicherungspflichtig sind.
- Ungeklärt ist ferner, ob die Wohnungseigentümer selbst verkehrssicherungspflichtig blieben, wenn die Verkehrssicherungspflichten eine gemeinschaftsbezogene Pflicht wären.
- Schließlich ist nicht entschieden, ob ein Wohnungseigentümer im Fall der Verletzung der Verkehrssicherungspflichten einen deliktischen Schadensersatzanspruch gegen die Gemeinschaft haben könnte. Die Entscheidung prescht hier auch nicht vor. Da die Gemeinschaft durch die zulässige Delegation der Verkehrssicherungspflichten in jedem Fall aus dem Schneider wäre, war die Frage nicht entscheidungserheblich.
Ausblick WEG-Reform
Das WEMoG wird die Rechtslage vollständig ändern. Zum einen wird der Verwalter jetzt vollständig Organ der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer muss deshalb für sein Verschulden einstehen. Zum anderen obliegt nach § 18 Abs. 1 WEG die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ist daher jetzt für die Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten auch in Bezug auf die Wohnungseigentümer zuständig.
5 Entscheidung
BGH, Urteil v. 13.12.2019, V ZR 43/19