Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Keine Verfahrenskostenhaftung des Verwalters bei Verkündung eines Mehrheitsbeschlusses zum Antrag über eine bauliche Veränderung bei mehrfachen Hinweisen seinerseits auf grundsätzlich allstimmige Beschlussfassung
Normenkette
§§ 22 Abs. 1, 49 Abs. 2 WEG
Kommentar
Angesichts der umstrittenen Rechtslage zur Verkündung rechtswidriger Beschlüsse kann es jedenfalls nicht als grob fahrlässig im Sinne von § 49 Abs. 2 WEG angesehen werden, wenn der Verwalter, der in der Versammlung laut Niederschrift mehrfach darauf hingewiesen hat, dass ein Antrag über eine bauliche Veränderung eines allstimmigen Beschlusses bedürfe, widrigenfalls er der Anfechtung unterliege, gleichwohl den später mit Mehrheit gefassten Beschluss als wirksam feststellt. Denn auch von einem professionellen Verwalter können nicht die Kenntnisse eines Volljuristen erwartet werden. Insoweit kann nicht von subjektiv schlechterdings unentschuldbarer Pflichtverletzung des Verwalters ausgegangen werden, auch wenn an den vorliegend professionellen Verwalter höhere Anforderungen als an einen Miteigentümer-Verwalter zu stellen sind (vgl. auch LG München I, Beschluss v. 29.3.2010, 1 T 5340/10).
Dass die Verkündungsfragen von Abstimmungsergebnissen insbesondere im Falle anstehender Zustimmungs- bzw. Genehmigungsentscheidungen zu nachteiligen baulichen Veränderungen nach wie vor in strittiger Diskussion stehen, folgt aus der höchst auslegungsbedürftigen Neuregelung des § 22 Abs. 1 WEG. Zum einen wurde dort im Grundsatz die Beschlusskompetenz manifestiert, gleichzeitig jedoch die Zustimmungspflicht eines jeden Eigentümers normiert, dessen Rechte über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden. Duldungspflicht "Ja" oder "Nein" kann hier sicher nicht durch einen Versammlungsleiter im Rahmen seiner spontanen Beschlussverkündungspflicht entschieden werden. Mit der im Vordringen befindlichen Meinung namhafter Fachjuristen bin ich insoweit seit Langem der Auffassung, dass eine Gemeinschaft auch die Kompetenz besitzt, etwa erkennbar rechtswidrige Beschlüsse fassen zu können. Jedenfalls der Verwalter/Versammlungsleiter kann dies nicht verhindern, allenfalls ein letztlich kontrollierendes Gericht im Falle form- und fristgerechter Beschlussanfechtung. Nebenpflicht eines Verwalters ist es allerdings aus meiner Sicht unabdingbar, auch in einem solchen Fall ausdrücklich auf mögliche Beschlussanfechtungsrisiken schon vor einer Abstimmung hinzuweisen. Dies hat im vorliegenden Fall der Verwalter auch pflichtgemäß getan. Es erscheint zumindest mir in heutiger Sicht mehr als böswillig, in einem solchen Fall überhaupt § 49 Abs. 2 WEG zu diskutieren.
Link zur Entscheidung
LG Karlsruhe, Beschluss v. 15.9.2011, 11 T 302/11