Tobias Böing, Jochem Schausten
Rz. 287
Bei dem von der Rechtsprechung entwickelten familienrechtlichen Ausgleichsanspruch handelt es sich um ein Rechtsinstitut, welches entweder einem Verwandten – in der Regel dem einen Elternteil –, der ein gemeinsames Kind alleine unterhält (durch Betreuung und Barunterhalt), obwohl auch der andere Elternteil unterhaltspflichtig wäre, einen Ausgleichsanspruch für die Vergangenheit bietet. Oder es dient dem Ausgleich von staatlichen Leistungen, die eigentlich für beide Elternteile zur Erleichterung des Kindesunterhalts bestimmt sind, wenn diese nur einem Elternteil zugeflossen sind. Erstgenannter Fall dürfte der häufigste Anwendungsfall sein und soll aus diesem Grunde hier vertieft behandelt werden. Bedeutung gewinnt der familienrechtliche Ausgleichsanspruch zum Zwecke des Unterhaltsregresses vor allem in den Fällen, in denen noch offene Unterhaltsforderungen des Kindes aus prozessualen Gründen nicht mehr realisiert werden können, etwa weil das Kind den Aufenthaltsort gewechselt hat oder es volljährig wird.
Wenn also der Verwandte im Rahmen des ihm Gebotenen und Möglichen für den gesamten Unterhaltsbedarf des Unterhaltsgläubigers aufkommt, während der andere nur deshalb keinen Unterhalt leistet, weil er Erwerbsobliegenheiten nicht nachkommt, obwohl er zahlungspflichtig ist, so kann der Verwandte aufgrund des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs Ersatz verlangen. Der Ausgleich wird dann von dem Zeitpunkt an geschuldet, ab dem der eine Elternteil als gesetzlicher Vertreter des Kindes gegen den anderen einen Antrag auf Zahlung von Kindesunterhalt erhoben hat.
Die Rechtsfigur findet ihre Rechtfertigung in der gemeinsamen elterlichen Verantwortung für das Kind und der sich daraus ergebenden Sonderverbindung mit wechselseitigen Rechten und Pflichten beider Elternteile. Seiner Rechtsnatur nach ist der familienrechtliche Ausgleichsanspruch kein Unterhaltsanspruch, sondern vielmehr ein Erstattungs- bzw. Ausgleichsanspruch des einen Elternteils gegen den anderen.
Rz. 288
Wie oben bereits angerissen sind Anwendungsfälle des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs die Fälle der sogenannten unechten Ausfallhaftung und solche des plötzlichen Aufenthaltswechsels des Kindes vom sorgeberechtigten Elternteil zum anderen bzw. der eingetretenen Volljährigkeit des Kindes.
Mit dem Wechsel in den Haushalt des anderen Elternteils kann der zuvor betreuende Elternteil den rückständigen Unterhalt nur noch als Ausgleichsanspruch geltend machen. Das Gleiche gilt, wenn ein Kind volljährig wird und der betreuende Elternteil noch Unterhaltsrückstände aus der Zeit der Minderjährigkeit erstattet haben will.
Rz. 289
Auch in dem Fall, in welchem aus einem Titel auf Unterhalt eines minderjährigen Kindes nicht oder nicht vollständig vollstreckt wurde und das Kind nach Erreichen der Volljährigkeit auf eine weitere Vollstreckung verzichtet, kann der Ausgleichsanspruch auch ab Rechtshängigkeit des damaligen Unterhaltsantrages begehrt werden, denn der Unterhaltsschuldner konnte und musste damit rechnen, dass er zur Unterhaltsleistung herangezogen wird.
Rz. 290
Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch beruht auf der Unterhaltspflicht beider Eltern gegenüber ihrem gemeinsamen Kind und resultiert aus der Notwendigkeit, die Unterhaltslast im Verhältnis zwischen ihnen entsprechend ihrem Leistungsvermögen gerecht zu verteilen. Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch kann auch bei volljährigen Kindern bestehen, da es alleine darauf ankommt, dass beide Elternteile dem Kind gegenüber unterhaltspflichtig sind.
Es handelt sich um einen Erstattungsanspruch, der seiner Rechtsnatur nach wegen der anteiligen Haftung nach § 1606 Abs. 3 BGB eine eigene, sich unmittelbar aus der gemeinsamen Unterhaltslast ergebenden Verpflichtung darstellt. Die Rechtsprechung hat diesen Anspruch aufgrund einer bestehenden Gesetzeslücke entwickelt, die daraus resultiert, dass sich aus dem Gesetz kein Ersatzanspruch für den Fall ableiten lässt, dass der betreuende und Barunterhalt leistende Elternteil seine Zahlungen von dem anderen Elternteil zurück erlangen möchte.
Denn:
Rz. 291
Ein Gesamtschuldnerausgleich zwischen den beiden Elternteilen scheidet aus, weil Eltern dem Kind nicht als Gesamtschuldner, sondern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen als Teilschuldner haften.
Rz. 292
Auch die in § 1607 Abs. 2 Satz 1 BGB geregelte Ersatzhaftung, die zu einer cessio legis führt, greift in der Regel nicht, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen (nämlich die ausgeschlossene oder erheblich erschwerte Verfolgung des Kindesunterhalts) nicht erfüllt sind. Auch § 1607 Abs. 3 BGB findet keine Anwendung, weil er eine nicht bestehende Unterhaltspflicht voraussetzt, dem Kind gegenüber aber grundsätzlich beide Elternteile unterhaltspflichtig sind.
Rz. 293
Und auch eine Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 670, 683 BGB liegt nicht vor, weil der Elternteil sein Bargeld im Interesse des Kindes einsetzt und damit kein Geschäft des anderen führen und d...