Tobias Böing, Jochem Schausten
11.2.1 Vorliegen eines wirksamen Bürgschaftsvertrages
Rz. 319
Nicht selten ist der eine Ehegatte während der Ehezeit eine Bürgschaftsverpflichtung nach § 765 BGB gegenüber einem Gläubiger des anderen Ehegatten eingegangen. Durch die Bürgschaft verpflichtet sich der bürgende Ehegatte gegenüber dem Gläubiger seines Ehepartners, für die Erfüllung von dessen Verbindlichkeit einzustehen. Die Bürgenschuld ist vom Bestehen und Umfang der Hauptschuld abhängig und damit eine bloße Hilfsschuld. Zur Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages ist die schriftliche Erteilung der Bürgschaft erforderlich. Hier ist dann zu prüfen, ob dieser Bürgschaftsvertrag im Außenverhältnis überhaupt wirksam, also nicht sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB und damit nichtig ist.
11.2.1.1 Voraussetzungen
Rz. 320
Die Annahme der Sittenwidrigkeit ist letztlich an drei Voraussetzungen geknüpft.
11.2.1.1.1 Krasse finanzielle Überforderung
Rz. 321
Die Wirksamkeit im Außenverhältnis kann insbesondere daran scheitern, dass der Bürge durch die Bürgschaft finanziell krass überfordert ist. Eine krasse finanzielle Überforderung liegt nach dem BGH vor, wenn eine auf den Zeitpunkt der Abgabe der Bürgschaftserklärung abstellende, die Ausbildung, Fähigkeiten und familiären Belastungen berücksichtigende Prognose ergibt, dass der Bürge allein voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, auf Dauer die laufenden Zinsen der gesicherten Forderung mit Hilfe des pfändbaren Teils seines Einkommens und Vermögens aufzubringen. Diese Vermutung kann der Gläubiger nicht nur durch den Nachweis seiner Unkenntnis der krassen finanziellen Überforderung oder der emotionalen Verbundenheit, sondern auch durch den Nachweis eines eigenen persönlichen oder wirtschaftlichen Interesses des Bürgen an der Kreditaufnahme ausräumen. Ist die Überforderung nicht als krass anzusehen, kann die Bürgschaft dennoch sittenwidrig sein, wenn weitere Umstände, wie z. B. Irreführung, Verharmlosung oder Verschleierung des Risikos oder Ausübung von unzulässigem Druck hinzutreten.
11.2.1.1.2 Enge emotionale Verbundenheit
Rz. 322
Ferner ist Voraussetzung, dass der Mithaftende sich aufgrund seiner engen emotionalen Verbundenheit zum Darlehensnehmer auf die Mitverpflichtung eingelassen und die Bank dies in verwerflicher Art und Weise ausgenutzt hat. Dies wird bei einer krassen finanziellen Überforderung des mithaftenden Ehegatten widerleglich vermutet. Die Vermutung gilt als widerlegt, wenn der Mithaftende eigene, ins Gewicht fallende, geldwerte unmittelbare Vorteile aus der Kreditaufnahme erlangt. Dies ist jedoch nicht bereits bei rein mittelbaren Vorteilen (z. B. Verbesserung der Wohnverhältnisse oder höherer Unterhalt) für den Mithaftenden aus der Bürgschaft der Fall. Ausreichend ist auch nicht die geplante Mitarbeit des Mithaftenden in dem kreditfinanzierten Unternehmen oder seine nur geplante Beteiligung an dem Unternehmen.
11.2.1.1.3 Kenntnis oder Kennenmüssen
Rz. 323
Darüber hinaus muss die Bank Kenntnis oder Kennenmüssen vom Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung und der emotionalen Verbundenheit haben. Dies ist angesichts der banküblichen Gepflogenheit, die geforderten Sicherheiten auf ihre Werthaltigkeit zu überprüfen, im Regelfall anzunehmen.
11.2.1.2 Rechtsprechung
Rz. 324
Nach der Rechtsprechung des BGH hängt die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf von Kreditinstituten mit privaten Sicherungsgebern geschlossene Bürgschafts- oder Mithaftungsverträge regelmäßig entscheidend vom Grad des Missverhältnisses zwischen dem Verpflichtungsumfang und der finanziellen Leistungsfähigkeit des dem Hauptschuldner persönlich nahe stehenden Bürgen oder Mitverpflichteten ab. Zwar reiche selbst der Umstand, dass der Betroffene voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens oder Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalles dauerhaft tragen könne, regelmäßig nicht aus, um das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit zu begründen. In einem solchen Fall krasser finanzieller Überforderung sei aber nach der allgemeinen Lebenserfahrung ohne Hinzutreten weiterer Umstände widerleglich zu vermuten, dass er die ruinöse Bürgschaft oder Mithaftung allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.
Rz. 325
Der BGH hatte eine krasse finanzielle Überforderung angenommen, weil die damals 33 Jahre alte, einkommenslose Ehefrau, die sich ausschließlich der Haushaltsführung und der Erziehung ihrer damals drei Jahre alten Tochter widmete und kein nennenswertes Vermögen besaß, nach Aufforderung durch die Bank eine form...