1 Leitsatz

Die COVID-19-Pandemie rechtfertigt keine Beschränkung der Personenanzahl auf einer Eigentümerversammlung auf einen Wert unterhalb der teilnahmeberechtigten Eigentümer. Spricht die Einladung zu einer Versammlung ohne ausreichende Rechtfertigung eine solche Beschränkung aus, so sind die auf der Versammlung getroffenen Beschlüsse wegen Eingriffs in den Kernbereich des Wohnungseigentums nichtig.

2 Normenkette

§§ 21, 23, 24 WEG; §§ 935ff. ZPO

3 Das Problem

Der Verwalter lädt mit Schreiben vom 6.7.2020 zur Versammlung. Er teilt mit, dass die Anzahl der Wohnungseigentümer aufgrund der Größe des Versammlungsraums auf 10 Personen inklusive des Verwalters beschränkt sein müsse. Einige Wohnungseigentümer seien daher gehalten, Vollmachten zu erteilen (in der Wohnungseigentumsanlage gibt es 12 Wohnungseigentümer). Kämen zu viele Wohnungseigentümer und komme es zu keiner Einigung, behalte er sich vor, die Eigentümerversammlung nicht durchzuführen. Es kommt zu dieser Versammlung. Die anwesenden Wohnungseigentümer sind mit den Einschränkungen einverstanden. Sie beschließen über den Anstrich der Gebäudefassade inklusive Algenschutz. Wohnungseigentümer K beantragt, diesen Beschluss im Wege der einstweiligen Verfügung bis zum Abschluss seiner Anfechtungsklage gegen den Beschluss, längstens zum Ablauf etwaiger Rechtsbehelfsfristen bezüglich einer instanzabschließenden Entscheidung, auszusetzen.

4 Die Entscheidung

Mit Erfolg! Der Beschluss sei voraussichtlich nichtig. So liege es u. a. dann, wenn in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingegriffen werde. Dies sei der Fall. Das Teilnahmerecht und das Stimmrecht eines Wohnungseigentümers dürften allenfalls ausnahmsweise eingeschränkt werden. So ein Fall liege nicht vor. Die Möglichkeit einer Vertretung ändere daran nichts. Denn ein Wohnungseigentümer könne nicht gezwungen werden, einen Vertreter zu nehmen, da auch das Recht zur persönlichen Teilnahme zum Kernbereich zähle. Ebenso helfe es nicht, dass die Wohnungseigentümer, die zur Versammlung erschienen waren, mit der Ladung keine Probleme hatten. Auch die Corona-Pandemie rechtfertige schließlich kein anderes Ergebnis. Der Gesetzgeber habe durch § 6 COVMG deutlich gemacht, dass Eigentümerversammlungen grundsätzlich einer besonderen Dringlichkeit bedürften. Hieran habe es im Fall gefehlt. Die Fassade müsse zwar repariert werden. Die Reparatur sei aber nicht eilig. Wäre es anders, hätte ein größerer Raum angemietet werden müssen.

Hinweis

  1. Die Entscheidung behandelt erstens die Frage, ob ein Wohnungseigentümer gezwungen werden kann, sich vertreten zu lassen. Mit dem AG ist diese Frage zu verneinen. Die zweite Frage ist, ob man einem Wohnungseigentümer verwehren kann, an der Versammlung teilzunehmen. Auch diese Frage ist grundsätzlich zu verneinen. Die dritte Frage, wie man nämlich mit den Corona-Beschränkungen umgeht, war eigentlich keine. Denn nach § 1 Abs. 2b Satz 1b der "Verordnung zur Beschränkung von sozialen Kontakten und des Betriebs von Einrichtungen und von Angeboten aufgrund der Corona-Pandemie" vom 7.5.2020 des Landes Hessen waren Zusammenkünfte von bis zu 250 Personen zulässig, wenn geeignete Schutzmaßnahmen vorhanden sind. Mithin war der Verwalter nur – zu Unrecht – zu sparsam.
  2. Nach Auffassung von Häublein überzeugt die Entscheidung, gegen die Berufung eingelegt worden ist, nicht (siehe Häublein, ZfIR 2020, S. 789). Im Mittelpunkt der Gründe stehe die These, es seien Teilnahme- und Stimmrechte entzogen worden. Häublein fragt insoweit, welcher Eigentümer gehindert gewesen sei, an der Versammlung teilzunehmen. Es habe allenfalls eine psychische Zwangslage gegeben. Insgesamt gewinne man den Eindruck, die Entscheidung werde mehr vom Rechtsgefühl des Gerichts getragen als von der Anwendung konkreter Rechtsnormen. Eine Subsumtion hätte ihren Ausgangspunkt bei der Frage nehmen müssen, wie sich formelle Fehler auf die Wirksamkeit von Beschlüssen auswirken. Werde einem Eigentümer die Teilnahme an der Versammlung verweigert, habe der BGH die Frage offengelassen, ob dies zur bloßen Anfechtbarkeit der Beschlüsse führt oder ob ein Nichtigkeitsgrund vorliege. Im Fall sei aber niemandem die Teilnahme verweigert worden. Ganz sicher liege kein Verstoß in dem Hinweis, man möge möglichst Vollmachten erteilen. Letztlich gebe ein Verwalter, der einen solchen Hinweis in die Einladung schreibt, nur wieder, was seit Monaten angesichts der COVID-19-Pandemie den meisten Menschen bereits der gesunde Menschenverstand eingebe, nämlich dass soziale Kontakte möglichst zu reduzieren seien. Vielleicht liege ein Rechtsverstoß aber darin, dass der Verwalter einen Versammlungsort ausgewählt habe, an dem nicht alle Wohnungseigentümer Platz finden. So sah es jetzt auch das LG.

5 Entscheidung

AG Kassel, Urteil v 27.8.2020, 800 C 2563/20

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