Alexander C. Blankenstein
1 Leitsatz
Unter der COVID-19-Pandemie kann die Einberufung einer Versammlung auf dem Grundstück der Wohnungseigentumsanlage im Juni ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen.
2 Normenkette
§§ 23, 24 WEG; §§ 935, 940 ZPO
3 Das Problem
In einer Wohnungseigentumsanlage gibt es 36 Wohnungseigentumsrechte. Der Verwalter V ist einer der Miteigentümer. Er beruft eine Versammlung für den 2.4.2020 ein. Diese wird wegen der Beschränkungen durch die COVID-19-Pandemie aufgehoben. V beabsichtigt daraufhin, eine Beschlussfassung nach § 23 Abs. 3 WEG a. F. herbeizuführen. 34 Miteigentümer stimmen dem Umlaufverfahren und den Beschlussanträgen zu. 2 Wohnungseigentümer verweigern aber ihre Stimme. V beruft daraufhin eine Versammlung für den 9.6.2020 um 16.30 Uhr auf dem Spielplatz auf dem Grundstück der Wohnungseigentumsanlage unter freiem Himmel ein. Gegen diese Einberufung wendet sich Wohnungseigentümerin K im Wege der einstweiligen Verfügung. K meint, durch die Wahl des Versammlungsorts sei der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Versammlung verletzt.
4 Die Entscheidung
Das AG sieht das anders! Die Durchführung der Versammlung auf dem Spielplatz der Wohnungseigentumsanlage sei nicht zu beanstanden, insbesondere stelle sie keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Versammlung dar. Einerseits habe sie gerade und insbesondere den im April bis Juni 2020 bestehenden Gefahren durch das Covid-19-Virus und den Einschränkungen durch gesetzliche Regelungen entsprochen. Andererseits habe sie auch wegen der im Umlaufverfahren ersichtlichen Bereitschaft einer überwiegenden Mehrheit von 34 der 36 Wohnungseigentümer, den beabsichtigten Beschlussanträgen ohne Erörterung in einer Versammlung zuzustimmen, ordnungsmäßiger Verwaltung entsprochen. Ohne die Durchführung der Versammlung auf diese Weise wäre eine deutlich spätere Durchführung und die Anmietung eines Raums dafür erforderlich gewesen.
Hinweis
Versammlungsort und Versammlungsstätte sind jeweils am Grundsatz der Zumutbarkeit zu messen. Die Versammlungsstätte selbst muss einen störungsfreien Ablauf gewährleisten, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen und akzeptabel sein. Dies ist u. a. nicht der Fall, wenn ihre Größe die Teilnahme aller Wohnungseigentümer nicht zulässt, den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit nicht wahren kann, als Ort zu laut oder ein ordnungsmäßiger, gesetzlicher Ablauf der Versammlung dort nicht gewährleistet ist. Den Wohnungseigentümern ist es für eine begrenzte Zeit und zur Einsparung von Versammlungskosten zumutbar, gewisse Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen.
Beispiele:
- Eine Versammlungsstätte ist ungeeignet, wenn dort dem Hygiene- und/oder Infektionsschutz nicht oder nicht ausreichend oder nur unter großen Schwierigkeiten genügt werden kann. Ferner ist sie ungeeignet, wenn sie in einem Risikogebiet mit hohen Infektionszahlen liegt.
- Eine Waschküche als Versammlungsort kann bei strittigen Punkten, bei der eine Diskussion gegebenenfalls zu erwarten ist, unzumutbar sein. Dies ist aber eine Frage des Einzelfalls.
- Bestehen zwischen einem Wohnungseigentümer und dem Verwalter erhebliche Differenzen, kann die Wohnung des Verwalters ein unzumutbarer Ort sein. Ähnlich wird es bei der Wohnung eines Wohnungseigentümers liegen. Sind in kleineren Wohnungseigentumsanlagen im Versammlungsvorfeld zwischen einigen Wohnungseigentümern bereits Reibereien aufgetreten und Weiterungen nicht auszuschließen, kann die Wahl eines Wohnwagens als Versammlungsstätte ermessensfehlerhaft sein.
- Die WEG-Reform hat die Bestimmungen zum schriftlichen Beschluss geändert. Zum einen ist nach § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG jetzt die Textform ausreichend. Zum anderen können die Wohnungseigentümer jetzt nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen und die Zustimmung nur dieser Wohnungseigentümer genügt. In diesem Fall bedarf es abweichend von § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG ausnahmsweise also nicht der Zustimmung und der Ja-Stimme sämtlicher Wohnungseigentümer. Dieser Beschluss ist ein "normaler" Beschluss und daher anfechtbar.
Überblick:
- Die Wohnungseigentümer müssen in einer Versammlung mehrheitlich oder schriftlich allstimmig nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG beschließen, dass ein Beschluss zu einem konkreten Gegenstand mehrheitlich schriftlich gefasst werden kann.
- Die Wohnungseigentümer müssen sich mit dem Gegenstand noch nicht befasst haben. Zwar wird diese Gestaltung in den Gesetzesmaterialien beispielhaft genannt. Dieses Erfordernis ist aber zu keiner Tatbestandsvoraussetzung erhoben worden. Der Gegenstand muss deshalb zu seiner Gültigkeit auch nicht nach § 23 Abs. 2 WEG angekündigt worden sein. Im Gegenteil, eine Ankündigung muss sogar grundsätzlich ausscheiden.
- Der Beschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG muss einen einzelnen Gegenstand betreffen, was allerdings auch dann der Fall ist, wenn über eine Maßnahme und ihre Finanzierung ein Beschluss gefasst werden soll; also bei allen teilbaren Beschlüssen. Allerdings ist es möglich, für mehrere konkrete Gegenstände auch mehrere Beschlüsse zu fas...