1 Leitsatz
Die Durchführung einer Versammlung unter "2G-Plus-Voraussetzungen" stellt keinen unzulässigen Eingriff in den Kernbereich der Eigentümerrechte dar.
2 Normenkette
§§ 26, 44 Abs. 1 Satz 2 WEG; §§ 935ff. ZPO
3 Das Problem
Der Verwalter X legt sein Amt am 29.9.2021 mit sofortiger Wirkung nieder. Der Vorsitzende des Verwaltungsbeirats A lädt die anderen Wohnungseigentümer daher zum 1.12.2021 zu einer außerordentlichen Versammlung ein. Dort soll ein neuer Verwalter bestellt werden. Nach Inkrafttreten der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung zum 24.11.2021 sagt A die Versammlung wieder ab. Er meint, deren Durchführung unter "2G-Plus-Voraussetzungen" sei wohnungseigentumsrechtlich nicht zulässig, da nicht geimpfte oder genesene Wohnungseigentümer von der Teilnahme ausgeschlossen seien. A beantragt deswegen, das AG möge im Weg der einstweiligen Verfügung einen Verwalter bestellen.
4 Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Es gebe keinen Verfügungsanspruch auf Bestellung eines Verwalters im Wege der gerichtlichen Beschlussersetzung. Vor Beantragung einer Beschlussersetzung müsse der Antragsteller im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren alles versucht haben, eine Entscheidung der Wohnungseigentümer selbst zu erreichen. Hieran fehle es.
Dem könne das Inkrafttreten der 15. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung zum 24.11.2021 nicht entgegengehalten werden. Diese habe den Wohnungseigentümern eine Teilnahme an einer Eigentümerversammlung nicht unzumutbar erschwert. Die Durchführung einer Versammlung unter 2G-Plus-Voraussetzungen stelle keinen Ausschluss nicht geimpfter oder infizierter Wohnungseigentümer und damit keinen unzulässigen Eingriff in den Kernbereich der Eigentümerrechte dar, sondern sei Folge der Gesetzeslage. Wer sich eigenverantwortlich gegen eine Impfung entscheide, müsse auch die sich aus dieser Entscheidung ergebenden Konsequenzen tragen. Auf derartige individuelle Belange sei ebenso wenig Rücksicht zu nehmen wie auf Terminkollisionen oder Erkrankungen einzelner Wohnungseigentümer.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die viel diskutierte Frage, ob die Rechte der Wohnungseigentümer verletzt werden, wenn eine Versammlung einberufen wird, an der von Gesetzes wegen nur Genesene oder Geimpfte teilnehmen dürfen.
Kernbereich des Wohnungseigentums
Ein Beschluss oder eine Vereinbarung sollen nach h. M. nichtig sein, wenn sie in den "Kernbereich des Wohnungseigentums" eingreifen. Zum Kernbereich sollen vor allem die Rechte eines Wohnungseigentümers gehören, die sein Eigentum in besonderer Weise "auszeichnen", vor allem die Verwaltungsrechte. U. a. das Recht zur Teilnahme an einer Versammlung gehört nach h. M. zu den unentziehbaren Rechten eines Wohnungseigentümers. Diese "Kernbereichslehre" hat also eine Funktion zwischen den Wohnungseigentümern und begrenzt ihre Möglichkeiten, ihre Sachen selbst zu organisieren.
Hierum geht es nicht, wenn der Staat den Wohnungseigentümern Grenzen setzt, beispielsweise die Teilnahme an einer Versammlung an Bedingungen knüpft. In diesem Fall organisieren die Wohnungseigentümer nicht ihre Dinge, sondern der Staat beschreibt Rahmenbedingungen für die Eigentümer. Vor diesem Hintergrund ist es fernliegend und eigentlich ausgeschlossen, dass Coronaverordnungen in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingreifen. So sieht es auch das AG, welches einen Kernbereichsverstoß als Folge der Gesetzeslage und der Entscheidung eines Wohnungseigentümers, sich gegen eine Impfung auszusprechen, ablehnt.
Natürlich könnte man das Gesetz, nämlich die Coronaverordnung, auf seine Rechtmäßigkeit prüfen (das hat man im Münchener Amtsgericht nicht getan). Dass diese die Rechte der Wohnungseigentümer verletzt, was nicht erkennbar ist, dürfte unter den Wohnungseigentümer aber keine Rolle spielen.
Hausrecht und Benutzungsbeschluss
Anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn die Wohnungseigentümer selbst sich Regeln geben. Hier meine beispielsweise ich, es sei nicht möglich, sich "2G" (gar "+" oder "++") selbst zu verordnen. So weit geht das Hausrecht nicht und das erlaubt auch § 19 Abs. 1 WEG nicht. Hier werden Rechte verletzt. Etwas anderes gilt bei "3G", wenn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer den Test stellt und man sich vor der Teilnahme in Anwesenheit der Verwaltung prüfen kann. Wer das nicht will, bleibt der Versammlung eben fern und nimmt sich einen Vertreter.
Beschlussersetzungsklage
Im Fall hatte der Beiratsvorsitzende im Wege der einstweiligen Verfügung eine Beschlussersetzungsklage anhängig gemacht. Das war prozessual der richtige Weg. Denn die Bestellung eines Verwalters ist ein Beschluss.
6 Entscheidung
AG München, Beschluss v. 6.12.2021, 1293 C 19127/21 EVWEG