Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
- Erneut: Verspätete Versendung des unterzeichneten Protokolls
- Begründete Wiedereinsetzung nach versäumter Beschlussanfechtungsfrist bei Erstellung und Zugang des Versammlungsprotokolls erst nach einem Monat
- Berücksichtigung auch erstmals in III. Instanz offenkundig gewordener neuer Tatsachen
- "Sprungzurückverweisung" an das Amtsgericht
Normenkette
(§ 23 Abs. 4 WEG, § 24 Abs. 6 WEG; § 22 Abs. 2 FGG)
Kommentar
1. Erhalten in der Versammlung abwesende Eigentümer ein Protokoll erst nach Ablauf der Beschlussanfechtungsfrist – wie im vorliegenden Fall –, kann unter bestimmten Voraussetzungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich ein an der Versammlung nicht teilnehmender Eigentümer rechtzeitig vor Ablauf der einmonatigen Beschlussanfechtungsfrist danach erkundigen muss, welche Beschlüsse gefasst wurden; dieses Recht ergibt sich auch aus § 24 Abs. 6 Satz 3 WEG (vgl. KG ZMR 1997 S. 254, 256; OLG Hamm, ZMR 1999 S. 199, 200; OLG Düsseldorf, ZMR 1995 S. 220, 221; BayObLG, WE 1992 S. 139, 140 u.a.). Im vorliegenden Fall konnte allerdings erst in III. Instanz festgestellt werden, dass vor Ablauf der Beschlussanfechtungsfrist ein Versammlungsprotokoll im Rechtssinne noch nicht vorlag, welches also auch noch nicht hätte eingesehen oder angefordert werden können. Auf mündliche – rechtzeitige – Auskünfte über Abstimmungsergebnisse und Beschlussinhalte muss sich ein Eigentümer jedoch nicht verlassen; er benötigt vielmehr sichere Kenntnisse von Umfang und Bedeutung der Beschlussfassung, die er – auch nach dem Sinn des § 24 Abs. 6 WEG – nur durch ein ordnungsgemäß unterschriebenes Versammlungsprotokoll gewinnen kann. Dabei ist es Eigentümern nicht zuzumuten, sozusagen auf Vorrat die möglichen oder vielleicht auch wahrscheinlichen Beschlussergebnisse gerichtlich anzufechten, wenn deren Inhalt noch nicht schriftlich mit Unterschriften endgültig dokumentiert ist. Gleiches gilt auch für gerichtliche Urteils- oder Beschlussentwürfe vor Unterzeichnung, die damit noch nicht existent sind. Jedenfalls ist die verspätete Erstellung einer Versammlungsniederschrift als objektives Hindernis für eine fachgerechte Ausübung des Anfechtungsrechts anzusehen, mit der Folge, dass einem anfechtungswilligen Wohnungseigentümer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn er nach endgültiger Übersendung des Protokolls innerhalb einer 2-Wochen-Frist das Anfechtungsverfahren einleitet. Einem anfechtenden Eigentümer kann hier nicht entgegengesetzt werden, dass er sich durch rechtzeitige Rückfrage vor Ablauf der Anfechtungsfrist zuverlässig über die in der Versammlung gefassten Mehrheitsbeschlüsse hätte informieren können.
2. Die hier erst nach Ablauf der Beschlussanfechtungsfrist erfolgte Protokollierung ändert nichts daran, dass in der besagten Versammlung Mehrheitsbeschlüsse zustande gekommen sind und die Anfechtungsfrist von diesem Zeitpunkt an zu laufen begonnen hat (BGH, NJW 1997 S. 2956; ZMR 1997 S. 531); wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 24 Abs. 6 WEG ergibt, geht das Gesetz davon aus, dass die in der Versammlung gefassten Beschlüsse in eine Niederschrift aufzunehmen sind, die Protokollierung also nicht konstitutiv für das Zustandekommen des Eigentümerbeschlusses ist (BGH, NJW 2001 S. 3339; NZM 2001 S. 961; ZMR 2001 S. 809; ZWE 2001 S. 530). Im Sinne dieser vorgenannten BGH-Entscheidung ist auch bei einem verspätet erstellten Protokoll davon auszugehen, dass eine ausreichende Feststellung und Bekanntgabe des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter in der Versammlung stattgefunden hat.
3. Im vorliegenden Fall konnte der Schriftsatz der Antragstellerseite auch als wirksamer Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgelegt werden.
Auf eine nähere Darlegung und Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe kommt es dann nicht an, wenn sich die Tatsachen offenkundig aus den Akten ergeben, selbst wenn ein Antragsteller hierauf nicht ausdrücklich hinweist. Werden solche Umstände erst im Rechtsbeschwerdeverfahren offenkundig, kann dies auch die III. Instanz berücksichtigen, obwohl es sich um neue Tatsachen handelt. Bei einer solchen offenkundigen Tatsache bedarf es insoweit keiner anderen Sachaufklärung. Es wäre eine unnütze Förmelei, vom Antragsteller etwa zu fordern, sich auf diesen offenkundigen Wiedereinsetzungsgrund ausdrücklich berufen und einen Wiedereinsetzungsantrag wiederholen zu müssen. Vorliegend hatte sich der Antragsteller bereits in seiner Antragsschrift auf die verspätete Übersendung des Protokolls berufen. Ihm war damals ebenso wie den Vorinstanzen nicht bekannt, dass das Protokoll erst wenige Tage zuvor (aber jedenfalls nach Ablauf der Beschlussanfechtungsfrist) mit der vollständigen Unterzeichnung im Rechtssinne erstellt worden ist. Auch die absolute Frist für die Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags von einem Jahr nach § 22 Abs. 2 Satz 4 FGG i.V.m. § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG ist vorliegend eingehalten (vgl. auch KG, NJW-RR 1999 S. 12...