Leitsatz
1. Die Artikel 17 und 20 der 6. EG-RL, wie sie im Einklang mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit auszulegen sind, verwehren es einem Mitgliedstaat nicht, das Recht, für die Besteuerung von Grundstücksvermietungen zu optieren, mit der Folge aufzuheben, dass die Vorsteuerabzüge, die hinsichtlich der als Investitionsgüter erworbenen vermieteten Grundstücke vorgenommen wurden, gem. Artikel 20 der 6. EG-RL zu berichtigen sind.
2. Hebt ein Mitgliedstaat das Recht, für die Besteuerung von Grundstücksvermietungen zu optieren, auf, so hat er bei der Wahl der Modalitäten der Durchführung der Gesetzesänderung das berechtigte Vertrauen der Steuerpflichtigen zu beachten. Die Aufhebung des rechtlichen Rahmens, den ein der Mehrwertsteuer unterworfener Steuerpflichtiger – ohne missbräuchliches Vorgehen – so ausgenutzt hat, dass er weniger Steuern gezahlt hat, kann jedoch als solche kein auf Gemeinschaftsrecht gestütztes berechtigtes Vertrauen verletzen.
Normenkette
Art. 13 Teil B Buchst. b, 17 und 20 der 6. EG-RL (vgl. § 4 Nr. 9, § 9, § 15, § 15a UStG)
Sachverhalt
Die Gemeinde Leusden hatte schon 1992 Sportplätze mit ausgewiesener Umsatzsteuer an einen Sportverein vermietet und Vorsteuer für Baumaßnahmen (1990/91) geltend gemacht. Die Holin Groep BV hatte 1994/95 ein Bürogebäude in der durch Mietvertrag von 1995 nachgewiesenen Absicht errichtet, es umsatzsteuerpflichtig an eine Bank zu vermieten (Mietbeginn 1996). Die Niederlande schränkten die Optionsmöglichkeit durch eine Gesetzesänderung ein; es sollten Vertragsgestaltungen – wie im Fall der Gemeinde Leusden – getroffen werden, bei denen eine im Verhältnis zu den Investitionen geringe Miete vereinbart wurde.
In beiden Fällen berichtigte die niederländische Finanzverwaltung die geltend gemachten Vorsteuerbeträge, weil die Option nach der Gesetzesänderung nicht mehr zulässig war.
Entscheidung
Der EuGH entschied wie im Leitsatz wiedergegeben. Mit einer Übergangsregelung für nicht als Umgehung beurteilte Verträge und mit vorheriger Ankündigung der Änderung in der Presse, die auch in den Umgehungsfällen noch die Anpassung laufender Mietverträge bis zur Änderung zeitlich ermöglicht hätte, hatte der niederländische Gesetzgeber ausreichend die Belange der Steuerpflichtigen berücksichtigt (Rz. 81).
Hinweis
Hat ein Mitgliedstaat bei steuerfreien Grundstücksumsätzen von der – durch die 6. EG-RL erlaubten – Optionsmöglichkeit Gebrauch gemacht (vgl. § 9 UStG), kann er das Optionsrecht später jederzeit wieder aufheben oder beschränken (Rz. 48). Er muss allerdings die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit beachten. Auch wenn die Aufhebung nur für die Zukunft gilt, bleibt die Frage, ob eine – unzulässige – Rückwirkung darin liegen könnte, dass mit der Änderung auch Fälle betroffen sind, in denen der Berichtigungszeitraum (Art. 20 der 6. EG-RL; vgl. § 15a UStG) noch nicht abgelaufen ist. Diese Frage stellte sich in Bezug auf eine niederländische Gesetzesänderung.
Maßgeblich sind insoweit folgende Grundsätze:
Grundsätzlich darf der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes nicht vor dessen Veröffentlichung gelegt werden. Vergleichbares gilt auch, wenn die Rückwirkung zwar nicht gesetzlich angeordnet ist, sich aber aus dem Inhalt der Norm ergibt. Ausnahme: das angestrebte Ziel verlangt eine Rückwirkung, und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen wird berücksichtigt (Rz. 59). Es soll also letztlich nicht der Gesetzgeber mit seiner schwerfälligen Maschinerie wie der dumme Hase vor dem schlauen Igel kapitulieren müssen.
Die Richtlinie erkennt ausdrücklich das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und Missbräuchen an – insbes. bei Steuerbefreiungen, die nur unter Bedingungen befreit werden müssen, die zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen erforderlich sind. Ein Steuerpflichtiger kann deshalb kein berechtigtes Vertrauen in die Aufrechterhaltung eines Rahmens setzen, der Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und Missbräuchen ermöglicht (Rz. 76, 77).
Auch wenn kein missbräuchliches Verhalten, sondern nur eine Ausnutzung einer Rechtsvorschrift oder gesetzlichen Lücke zur Verminderung der Steuer vorliegt, verletzt die Aufhebung dieses rechtlichen Rahmens kein berechtigtes Vertrauen (Rz. 79).
Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der gemeinschafts-/rechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde und wenn die Absicht des Steuerpflichtigen erkennbar ist, sich einen rechtlichen Vorteil dadurch zu schaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (Rz. 78 und EuGH, Urteil vom 14.12.2000 C-110/99 – Emsland-Stärke –, Slg. 2000, I-11569, Rz. 52, 53).
Das Recht zur Option, als Unternehmer steuerpflichtige Umsätze mit Vorsteuerabzug auszuführen, darf dem Steuerpflichtigen – außer in Betrugs- und ...