Dr. iur. Barbara Mayer, Dr. Moritz Jenne
Zusammenfassung
Eine Aktiengesellschaft wird grundsätzlich durch ihren Vorstand vertreten. § 112 Satz 1 AktG macht hiervon eine Ausnahme: gegenüber Mitgliedern des Vorstands vertritt sie der Aufsichtsrat. Dies gilt nach einer aktuellen BGH-Entscheidung auch bei Rechtsgeschäften, die nicht unmittelbar mit einem Vorstandsmitglied geschlossen werden, sondern mit einer Gesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter das Vorstandsmitglied ist.
Hintergrund:
Die klagende Aktiengesellschaft hat (als Käuferin), vertreten durch einen Vertreter ihres Vorstands, mit der beklagten GmbH (als Verkäuferin) einen Geschäftsanteilskauf- und Übertragungsvertrag über deren Anteile an einer weiteren GmbH ("Ziel-GmbH") geschlossen. Der Vertrag sah dabei als aufschiebende Bedingung für die Anteilsübertragung den Abschluss eines Vorstandsdienstvertrags zwischen der Käuferin und dem Alleingesellschafter der Verkäuferin vor. Der Vorstandsdienstvertrag war wiederum bedingt durch die Zahlung des Kaufpreises. Der Alleingesellschafter der Verkäuferin sollte also – gleichzeitig mit der Übertragung der Geschäftsanteile an der Ziel-GmbH – Vorstand der Käuferin werden. Am Tag der Unterzeichnung des Anteilskaufvertrags wurde der Alleingesellschafter der Verkäuferin durch den Aufsichtsrat der Käuferin zum Vorstand bestellt und der Vorstandsdienstvertrag unterzeichnet. Die Käuferin zahlte zudem den Kaufpreis und wurde in die Gesellschafterliste der Ziel-GmbH als neue Gesellschafterin aufgenommen.
Die Klägerin forderte später nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB den Kaufpreis von der Verkäuferin mit der Begründung zurück, dass der Anteilskaufvertrag wegen eines Verstoßes gegen § 112 Satz 1 AktG nichtig sei. Der Kaufvertrag hätte auf Seiten der Käuferin nicht vom Vorstand (oder einem Vertreter des Vorstands), sondern vom Aufsichtsrat unterzeichnet werden müssen. Sowohl das LG in der Erst- als auch das OLG Dresden in der Berufungsinstanz haben der Klage stattgegeben:
§ 112 Satz 1 AktG sei bei einem Vertragsschluss zwischen einer AG und einer Ein-Personen-Gesellschaft eines künftigen Vorstandsmitglieds anwendbar. Bei einer wirtschaftlichen Identität zwischen Vorstand und Vertragspartner, wie sie unzweifelhaft bei einer Ein-Personen-Gesellschaft gegeben sei, liege eine vergleichbare abstrakte Gefährdung der Gesellschaftsinteressen wie beim Vertragsschluss mit dem Vorstandsmitglied selbst vor. Darüber hinaus sei für die Anwendbarkeit von § 112 Satz 1 AktG unerheblich, ob die Bestellung zum Vorstand vor oder nach der Unterzeichnung des Anteilskaufvertrags erfolgt sei, weil von der Vorschrift auch Geschäfte im Vorfeld der Bestellung erfasst würden.
Die Entscheidung des BGH (II ZR 392/17)
Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der BGH hat sich der Auffassung des OLG Dresden und der insoweit herrschenden Ansicht in der Literatur angeschlossen und hält § 112 Satz 1 AktG jedenfalls dann für anwendbar, wenn die AG ein Rechtsgeschäft mit einer Gesellschaft abschließt, deren Alleingesellschafter ein Vorstandsmitglied ist.
Zwar lasse sich dem Wortlaut der Vorschrift nichts für oder gegen eine erweiternde Auslegung entnehmen. Zudem spreche auch die Systematik von § 112 Satz 1 AktG als Ausnahme der ausschließlichen Vertretungsmacht des Vorstands nach § 78 Abs. 1 AktG für eine enge Auslegung. Jedoch schließe dies die Anwendung über den Wortlaut hinaus nicht grundsätzlich aus:
Entscheidend für eine entsprechende Erweiterung des Anwendungsbereichs ist nach Auffassung des BGH der Schutzzweck des § 112 Satz 1 AktG. Ohne Einbeziehung der Ein-Personen-Gesellschaft eines Vorstandsmitglieds wäre einer Umgehung des § 112 Satz 1 AktG Tür und Tor geöffnet. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs stehe zwar im Spannungsverhältnis mit dem gesetzlichen Kompetenzgefüge des Aktienrechts, dies sei allerdings in § 112 Satz 1 AktG selbst angelegt und in Abwägung mit dessen Schutzzweck hinzunehmen.
Ferner ist nach Auffassung des BGH für die Anwendung von § 112 Satz 1 AktG unerheblich, ob die Bestellung zum Vorstand zeitlich vor oder erst nach der Beurkundung des Geschäftsanteilskaufvertrags erfolgt. Auch insoweit sei der Wortlaut der Vorschrift zu eng und der Aufsichtsrat nicht nur gegenüber amtierenden Vorstandsmitgliedern zur Vertretung befugt, sondern auch gegenüber Personen, die erst künftig zum Vorstand bestellt werden sollen. Das gelte jedenfalls dann, wenn es um Rechtsgeschäfte gehe, die im Vorfeld der beabsichtigten Bestellung erfolgen und mit dieser in Zusammenhang stehen.
Das Urteil des BGH ist grundsätzlich zu begrüßen und schafft Klarheit im Umgang mit Gesellschaften, deren alleiniger Gesellschafter ein Mitglied des Vorstands ist. Wie bei Rechtsgeschäften mit einem Vorstandsmitglied selbst, ist auch hier der Aufsichtsrat gem. § 112 Satz 1 AktG für die Vertretung der Gesellschaft zuständig.
Auch den Ausführungen zum zeitlichen Anwendungsbereich der Norm ist zuzustimmen. Ohne die Vorverlagerung wäre die Umgehung von § 112 Satz 1 AktG und dem damit verfolgten Schutz der Gesell...