Leitsatz

Die Aufforderung der Bauaufsichtsbehörde zur Herstellung eines zweiten Rettungswegs bei einem 6-geschossigen Gebäude aus Gründen des Brandschutzes überschreitet die eigenständigen Befugnisse des Verwalters. Wird der Verwalter ohne eine verbindliche Inanspruchnahme der Wohnungseigentümer in Anspruch genommen, ist das unzulässig. Etwas anderes gilt, wenn der Verwalter als Sofortmaßnahme ein Gerüst errichten lassen soll.

 

Normenkette

§ 27 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 WEG

 

Das Problem

  1. Im Anschluss an eine Überprüfung der Wohnungseigentumsanlage fordert die Bauaufsichtsbehörde Verwalter V zur Herstellung eines 2. Rettungswegs für alle Wohnungen des Gebäudes sowie zur Schaffung sicher benutzbarer Nottreppenräume bis zur Fertigstellung eines 2. Rettungswegs auf. Beide Anordnungen erklärt die Bauaufsichtsbehörde für sofort vollziehbar. Für den Fall nicht fristgerechter Befolgung werden V Zwangsgelder in Höhe von 5.000 EUR beziehungsweise 1.000 EUR angedroht.

    § 80 VwGO (Aufschiebende Wirkung)

    (1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

    (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

    1. bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
    2. bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
    3. in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
    4. in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.

    ...

  2. In der Begründung heißt es unter anderem, das Gebäude verfüge derzeit nur über einen 1. Rettungsweg in Form eines Treppenhauses. Ein nach §§ 15 und 33 Landesbauordnung Saarland (LBO-SL) erforderlicher 2. Rettungsweg – zum Beispiel über die Außenfenster der einzelnen Wohnungen – sei derzeit nicht nutzbar.

    § 15 LBO-SL (Brandschutz)

    Bauliche Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch (Brandausbreitung) vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind.

    § 33 LBO-SL (Erster und zweiter Rettungsweg)

    (1) Für Nutzungseinheiten mit mindestens einem Aufenthaltsraum, wie Wohnungen, Praxen, selbstständige Betriebsstätten, müssen in jedem Geschoss mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein; beide Rettungswege dürfen jedoch innerhalb eines Geschosses über denselben notwendigen Flur führen.

    (2) Für Nutzungseinheiten nach Absatz 1, die nicht zu ebener Erde liegen, muss der erste Rettungsweg über eine notwendige Treppe führen. Der zweite Rettungsweg kann eine weitere notwendige Treppe, eine Außentreppe oder eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle der Nutzungseinheit sein. Ein zweiter Rettungsweg ist nicht erforderlich, wenn die Rettung über einen sicher erreichbaren Treppenraum möglich ist, in den Feuer und Rauch nicht eindringen können (Sicherheitstreppenraum).

    (3) Gebäude, deren zweiter Rettungsweg über Rettungsgeräte der Feuerwehr führt und bei denen die Oberkante der Brüstung von zum Anleitern bestimmten Fenstern oder Stellen mehr als 8 m über der Geländeoberfläche liegt, dürfen nur errichtet werden, wenn die Feuerwehr über die erforderlichen Rettungsgeräte, wie Hubrettungsfahrzeuge, verfügt. Bei Sonderbauten ist der zweite Rettungsweg über Rettungsgeräte der Feuerwehr nur zulässig, wenn keine Bedenken wegen der Personenrettung bestehen.

    Die Wohnungsfenster seien nur bis zu einer Höhe von 7 m über Steck- und Schiebeleitern der Feuerwehr erreichbar. Die höherliegenden Wohnungen könnten nicht mit Rettungsgerät der Feuerwehr erreicht werden, weil für die notwendigen Hubrettungsfahrzeuge weder eine Zufahrt noch Aufstellungsflächen vorhanden seien. Deswegen seien entweder diese Voraussetzungen zu schaffen oder ein 2. Rettungsweg über geeignete bauliche Maßnahmen an den Gebäuden "zur Genehmigung zu beantragen".

  3. Gegen diesen Bescheid wendet sich V. Er macht geltend, er sei lediglich Verwalter und daher nicht der richtige Adressat der Anordnung. Die ihm im Bescheid auferlegten Verpflichtungen seien von seinen Befugnissen nicht gedeckt.
 

Die Entscheidung

  1. Der Antrag hat Erfolg, soweit V sich gegen die Herstellung eines 2. Rettungswegs wendet. Die Anordnung begegne grundsätzlichen rechtlichen Bedenken hinsichtlich der darin enthaltenen Inanspruchnahme (allein) des Verwalters als Pflichtigen (§§ 4, 5 SPolG). Es spreche vieles dafür, dass mit der Anordnung der Rahmen der eigenständigen Befugnisse von V als Verwalter überschritten und daher seine alleinige ordnungsrechtliche Inanspruchnahme fü...

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