Entscheidungsstichwort (Thema)
Geerbter Miteigentumsanteil förderungsrechtlich verwertbares Vermögen
Leitsatz (amtlich)
1. Der Gesetzgeber geht für den Regelfall davon aus, dass das nach §§ 26 bis 29 Abs. 1 BAföG anrechenbare Vermögen für den Ausbildungsbedarf auch wirklich einsetzbar ist.
2. Trifft dies nicht zu, wäre die Vermögensanrechnung eine unbillige Härte (§ 29 Abs. 3 BAföG).
3. Eine realistische Chance zur Verwertung eines geerbten Miteigentumsanteils, der zudem mit einem Nießbrauch belastet ist, besteht (im konkreten Fall) nicht.
4. Mit Blick auf die noch zu treffende Ermessensentscheidung nach § 29 Abs. 3 BAföG ist es angezeigt, die Antragsgegnerin zur vorläufigen Bewilligung von Ausbildungsförderungsleistungen entsprechend § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu verpflichten.
Tenor
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragsstellerin vorläufig bis zur bestandskräftigen Entscheidung über ihren Weiterförderungsantrag für den Bewilligungszeitraum 01.01.2010 bis 01.01.2011 Ausbildungsförderungsleistungen in gesetzlicher Höhe für ihr Medizinstudium an der Universität unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu bewilligen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
Der Antrag vom 16.07.2010, mit dem die Antragstellerin sinngemäß begehrt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig Ausbildungsförderungsleistungen in gesetzlicher Höhe für ihr Medizinstudium Universität des Saarlandes zu bewilligen, ist zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Der Antragstellerin steht ein Anordnungsanspruch zu, d. h. ein überwiegend wahrscheinlicher materiell-rechtlicher Anspruch auf die beantragte Leistung. Für diesen Anspruch muss hier allerdings sogar ein besonders hoher Grad von Wahrscheinlichkeit sprechen, weil die begehrte einstweilige Anordnung in vollem Umfang – wenn auch nur für einen begrenzten Zeitraum – das vorwegnimmt, was die Antragstellerin grundsätzlich nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen kann (Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung von Ausbildungsförderungsleistungen in gesetzlicher Höhe). (vgl. BVerwG, z.B. Beschluss vom 13.8.1999 – 2 VR 1.99 –, BVerwGE 109, 258 = DVBl. 2000, 487 = DÖV 1999, 1045 = NJW 2000, 160; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 123 Rdnr. 14, m.w.N.)
Selbst diese erschwerenden Voraussetzungen sind jedoch erfüllt. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung von Ausbildungsförderungsleistungen ist nämlich in besonders hohem Grade wahrscheinlich.
Zwischen den Beteiligten steht lediglich die Frage im Streit, ob die von der Antragstellerin im Wege der Erbfolge erworbenen Immobilien förderungsrechtlich als verwertbares Vermögen anzusehen sind oder ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 29 Abs. 3 BAföG vorliegen und die Antragsgegnerin auf dieser Grundlage zu einer Ermessensentscheidung verpflichtet ist. Letzteres ist zu bejahen. Zwar handelt es sich bei den Eigentumsanteilen der Antragstellerin an den Grundstücken um verwertbares Vermögen im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG. Die Antragstellerin ist aber nicht zu dessen Verwertung verpflichtet, weil dies für sie eine unbillige Härte im Sinne von § 29 Abs. 3 BAföG darstellen würde. Dass die fraglichen Immobilien im Eigentum einer Erbengemeinschaft stehen und mit einem Nießbrauch belastet sind, erschwert allenfalls die Verwertung, stellt aber noch kein objektives rechtliches Verwertungshindernis im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 2 BaföG dar. (BVerwG, Urteil vom 11.10.1984 – 5 C 44.81 –, NVwZ 1985, 585 ≪586 f.≫; VGH Baden-Württemberg Urteil vom 19.12.2005 – 7 S 3012/04 – FamRZ 2006, 1638; Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 4. Aufl. 2005, § 27 Rn. 6) Die Nichtberücksichtigung von Vermögen in Fällen wie dem vorliegenden folgt aber aus der Zielsetzung des § 29 Abs. 3 BAföG, wirtschaftlich nicht verwertbares Vermögen von der Anrechnung freizustellen. (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 13.06.1991 – 5 C 33.87 –, BVerwGE 88, 303;) Nach Zweck und Stellung des § 29 Abs. 3 BAföG im System der Vorschriften über die Vermögensanrechnung dient die Norm dazu, Härten abzufedern, die sich aus den der Vermögensanrechnung zugrundeliegenden Pauschalierungen und Typisierungen ergeben können. Zu diesen Typisierungen gehört auch diejenige, dass der Gesetzgeber für den Regelfall davon ausgeht, dass das nach den §§ 26 bis 29 Abs. 1 BAföG anrechenbare Vermögen für den Ausbildungsbedarf auch wirklich einsetzbar ist. Trifft dies ausnahmsweise nicht zu, so könnte der Ausbildungsbedarf aus dem gleichwohl angerechn...