Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfolglose Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender charakterlicher Eignung
Leitsatz (amtlich)
Macht eine Straßenverkehrsbehörde von der gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, außerhalb des Punktsystems auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 StVG die Fahrerlaubnis wegen fehlender charakterlicher Eignung zu entziehen, so hat sie diese Entscheidung aufgrund einer umfassenden Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Betroffenen und der von ihm ausgehenden Gefahr für den öffentlichen Straßenverkehr zu treffen, wobei sie auch zeitlich weiter zurückliegende, jedoch – mit Blick auf die Tilgungsvorschriften – noch verwertbare Eintragungen im Verkehrszentralregister zu berücksichtigen hat.
Normenkette
StVG § 4 Abs. 1 S. 2, § 3 Abs. 1
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch den Beklagten, welche dieser damit begründet hat, der Kläger sei zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr charakterlich ungeeignet.
Dem Kläger wurde die Fahrerlaubnis erstmals 1986 und nach deren Wiedererteilung erneut im Jahre 1998 entzogen. Während hinsichtlich der Entscheidung im Jahre 1986 kein Aktenmaterial mehr existiert bzw. aus Rechtsgründen vernichtet wurde, erfolgte die Entziehung der Fahrerlaubnis zuletzt aktenkundig wegen fehlender charakterlicher Eignung aufgrund wiederholter erheblicher Verkehrsverstöße. Nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Jahre 2000 trat der Kläger ausweislich der im Verkehrszentralregister des Kraftfahrt-Bundesamtes in Flensburg erfassten Eintragungen mit weiteren Verkehrsverstößen in Erscheinung. Wie das Kraftfahrt-Bundesamt dem Beklagten zu Beginn des Verfahrens mitteilte, hatte der Kläger wiederholt die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten, und zwar
am 19.3.2003 außerhalb geschlossener Ortschaften um |
26 km/h, |
am 13.7.2003 außerhalb geschlossener Ortschaften um |
52 km/h, |
am 28.9.2004 innerhalb geschlossener Ortschaften um |
27 km/h, |
am 28.6.2005 innerhalb geschlossener Ortschaften um |
21 km/h. |
Darüber hinaus waren im Verkehrszentralregister betreffend den Kläger strafgerichtliche Verurteilungen zu Geldstrafen durch Urteile des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 20.4.1994 (Gebrauch eines unversicherten Kraftfahrzeugs) und vom 22.12.1997 (Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz) sowie des Amtsgerichts Alsfeld vom 16.1.2001 (Fahren ohne Fahrerlaubnis) eingetragen. Im Mai 2006 setzte der Beklagte den Kläger mit einem Anhörungsschreiben darüber in Kenntnis, dass er aufgrund der Anhäufung erneuter Ordnungswidrigkeiten, die mit insgesamt elf Punkten zu bewerten seien, sowie mit Blick auf die Vorgeschichte beabsichtige, ihm die Fahrerlaubnis zum Führen von führerscheinpflichtigen Fahrzeugen mit sofortiger Wirkung zu entziehen. Das Anhörungsschreiben blieb unbeantwortet.
Mit Bescheid vom 23.5.2005 entzog der Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr und ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Ferner forderte er den Kläger unter Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen auf, den Führerschein innerhalb von drei Tagen nach Zustellung der Entscheidung bei ihm abzuliefern und setzte eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 100 EUR zzgl. der Zustellungsgebühr von 4,50 EUR, mithin einen zu zahlenden Betrag in Höhe von insgesamt 104,50 EUR, fest. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, der Kläger habe ausweislich der über ihn geführten Führerscheinakte in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten trotz mehrerer Verurteilungen und Sanktionen sowie zweimaliger behördlicher Entziehung der Fahrerlaubnis immer wieder und erheblich gegen die bestehenden Verkehrsbestimmungen verstoßen. Nachdem ihm die Fahrerlaubnis zuletzt aufgrund einer gutachtlich günstigen Prognose wiedererteilt worden sei, ergebe sich nunmehr ein anderes Bild. Und zwar sei vor dem Hintergrund der neu aktenkundig gewordenen Verkehrsverstöße und der Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Klägers festzustellen, dass dieser sich erneut als charakterlich ungeeignet zum Führen von führerscheinpflichtigen Fahrzeugen erwiesen habe bzw. er die in ihn gesetzte Erwartung, zukünftig beanstandungsfrei am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen, nicht erfüllt habe. Die Fahrerlaubnis sei daher gemäß §§ 2 Abs. 4, 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und nach §§ 3 Abs. 1 und 46 Abs. 1 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) zwingend zu entziehen.
Gegen diese Entscheidung legte der Kläger durch seine früheren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein. In der Begründung führte er an, dass zur Beurteilung sein...