Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachbarklage gegen einen Abweichungs- und einen Befreiungsbescheid
Leitsatz (amtlich)
1. Die Nachbarklage gegen einen objektiv rechtswidrigen Befreiungsbescheid, mit dem eine Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplanes erteilt worden ist, hat nur dann Erfolg, wenn die Befreiung nach den Maßstäben zum Gebot der Rücksichtnahme die Rechte des Nachbarn verletzt.
2. Die Klage eines Nachbarn gegen einen Abweichungsbescheid, mit dem eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften erteilt worden ist, kann keinen Erfolg haben, wenn die Abweichung gegenüber einem Grundstück erteilt worden ist, das nicht im Eigentum des Klägers steht.
Normenkette
VwGO § 75; BauGB §§ 10, 31 Abs. 2; BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2, § 23 Abs. 2; LBO § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, S. 4, § 57 Abs. 2, § 61 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 63 Abs. 1 Nr. 3, § 68 Abs. 1-2, 3 S. 1, §§ 81-82, 85
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Der Streitwert wird auf 15.000,– Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die der Beigeladenen mit Bescheid des Beklagten zu 1. vom 09.07.2008 erteilte Abweichung von der Einhaltung der rückwärtigen Abstandsfläche beim Bau eines Gerätehauses sowie die mit Bescheid der Beklagten zu 2. vom 06.06.2008 erteilte Befreiung von der Einhaltung der Baugrenze beim Bau eines Carports und begehrt außerdem vom Beklagten zu 1. ein bauaufsichtliches Einschreiten.
Die Beigeladene ist Miteigentümerin der Parzelle Nr. …/…, Flur …, Gemarkung …, die mit ihrer östlichen Hälfte nördlich an die Parzelle des Klägers – Nr. …/…l – angrenzt. Der westliche Teil des Vorhabengrundstücks grenzt an das Flurstück Nr. …/…, das im Eigentum der Beklagten zu 2. steht. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplanes “… … … …”, der das Gebiet als Reines Wohngebiet ausweist und u.a. für das Grundstück der Beigeladenen eine hintere Baugrenze festsetzt. Weiter regelt der Bebauungsplan, dass sich die Flächen für überdachte Stellplätze und Garagen einschließlich ihrer Einfahrten auf dem Grundstück innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche befinden müssen. Eine Festsetzung für Nebenanlagen besteht nicht.
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 04.01.2008 wurde durch den Kläger angezeigt, dass auf der Parzelle Nr. …/… unmittelbar an der rückwärtigen Grenze ein Carport und links daneben ein fester Baukörper mit Fenster errichtet worden seien. Außerdem wurde vorsorglich gegen eine bereits erteilte baurechtliche Genehmigung Widerspruch eingelegt und Akteneinsicht beantragt. Anlässlich einer Ortsbesichtigung am 27.02.2008 wurde von der Unteren Bauaufsichtsbehörde des Beklagten zu 1. festgestellt, dass entlang der rückseitigen Grundstücksgrenze mit einem Grenzabstand von ca. 2,50 m auf einer Fläche von 13,1 m × 4,15 m ein Carport aus Holz mit angeschlossener Fertiggarage mit einer Firsthöhe von 2,70 m und einer Traufhöhe von 2,45 m errichtet worden war, wobei die beiden Gebäude durch eine gemeinsame vordere Blende miteinander verbunden waren. Der Dachüberstand des Carports zur rückwärtigen Grundstücksgrenze betrug 0,80 m. Das Gerätehaus hat zur Grenze hin zwei Fenster. Beide Gebäude überschreiten die rückwärtige Baugrenze. Eine baurechtliche Genehmigung für die ausgeführten baulichen Anlagen lag nicht vor.
Mit Antrag vom 19.05.2008 beantragte die Beigeladene beim Beklagten zu 1. die Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften für den Bau eines Fertigteilgerätehauses im Grenzbereich zur Parzelle Nr. …/… Nach den Planvorlagen beträgt der Abstand des Gebäudes zur Grenze 2,50 m. Das Gerätehaus hat eine Grundfläche von 4,00 m × 4,00 m und eine Höhe von 2,45 m. Die Beklagte zu 2. hat dem Antrag durch Unterschrift zugestimmt. Die Beigeladene beantragte außerdem mit Antrag vom selben Tag bei der Beklagten zu 2. die Erteilung einer Befreiung von der im Bebauungsplan “… … … …” festgesetzten hinteren Baugrenze für den Bau eines Carports im Grenzbereich zum Grundstück des Klägers. Nach den Planunterlagen hat der Carport eine Breite von 7,00 m und eine Tiefe einschließlich des Dachüberstandes, der in Richtung auf das Grundstück des Klägers eine Tiefe von 0,80 m aufweist, von 4,88 m. Die Höhe beträgt maximal 2,45 m. Die gemeinsame vordere Blende der beiden Gebäude ist in den Planvorlagen nicht enthalten und wurde auch nachfolgend beseitigt.
Die Beklagte zu 2. gewährte mit Bescheid vom 06.06.2008 der Beigeladenen für den Carport die beantragte Befreiung von der Nichteinhaltung der Baugrenze. Außerdem teilte sie der Beigeladenen mit Schreiben vom selben Tag ...