Entscheidungsstichwort (Thema)
Obdachlosenrecht. Antrag auf Regelung der Vollziehung
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 28. November 1989 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 02. November 1989 wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner; außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
2. Der Streitwert wird auf 3.000,– DM festgesetzt.
Gründe
Der sinngemäß gestellte Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 28. November 1989 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 02. November 1989 wiederherzustellen,
ist begründet.
Es besteht kein besonderes öffentliches Interesse oder überwiegendes Interesse eines Beteiligten (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) an der erneuten – dritten – Beschlagnahme der im Eigentum des Antragstellers stehenden Wohnung … und Wiedereinweisung der Beigeladenen mit ihrem Kind bis zum 10. Januar 1990. Denn die entsprechende Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 02. November 1989 ist offensichtlich rechtswidrig.
Nach § 19 Abs. 1 Nr. 3 OBG kann die Ordnungsbehörde Maßnahmen gegen Nichtstörer u.a. nur dann treffen, wenn sie die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren kann. Diese Ermessensvoraussetzungen liegen offenbar nicht vor.
Die Inanspruchnahme Dritter nach § 19 OBG ist ohnehin das letzte Mittel zur Beseitigung akuter Obdachlosigkeit. Eine derartige Maßnahme ist deshalb auch nur so lange rechtlich zulässig, wie die Beschaffung eines Obdachs auf Kosten der Allgemeinheit objektiv unmöglich bleibt, wobei finanzielle Erwägungen unerheblich sind.
– vgl. OVG NW, Beschluß vom 28. Januar 1954, OVGE 8, 212 (214); OVG NW, Beschluß vom 19. Dezember 1958, OVGE 14, 265 (270 bis 273); Drews-Wacke-Vegel-Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 335 –
Die Ordnungsbehörde muß sich deshalb ständig und mit größtem Eifer darum bemühen, anderweitige Unterbringungsmöglichkeiten für Obdachlose ausfindig zu machen. Dazu gehört u.a. auch der Nachweis, welche zumutbaren Schritte sie unternommen hat, um den ordnungsbehördlichen Notstand baldigst zu beheben.
– vgl. OVG Berlin, Urteil vom 07. Dezember 1954, ZMR 1955, 247 (250) –
Zusätzliche Anforderungen sind zu stellen, wenn die Inanspruchnahme des Nichtstörers – wie hier – trotz eines Zivilgerichtlichen Räumungsurteils erfolgt. In einem solchen Fall muß es sich die Behörde – unabhängig von ihrem im vorliegenden Fall aktenkundigen Bemühen, die betreffende Wohnung durch Übernahme von Mietrückständen und zukünftiger Miete für die Beigeladenen zu erhalten – ganz besonders angelegen sein lassen, ein anderes Obdach zu beschaffen, um ihrer behördlichen Pflicht nachzukommen, dem Richterspruch die ihm gebührende Achtung, gerade auch von Seiten einer Verwaltungsbehörde, zu verschaffen.
– so: OVG NW, Beschluß vom 28. Januar 1954, a.a.O.; vgl. auch: BGH, Urteil vom 10. April 1961, BGHZ 35, 27 (30/31) –
Schon vom ersten Tage der Wiedereinweisung an hat die Ordnungsbehörde sinnvolle und zweckentsprechende Maßnahmen einzuleiten, die die Gewähr dafür bieten, daß der Obdachlose alsbald anderweitig untergebracht werden kann.
– vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1961, BGHZ 35, 27 (32); Rietdorf-Heise-Böckenförde-Strehlau, Ordnungs- und Polizeirecht in Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl., Rz. 15 zu § 19 OBG –
In zeitlicher Hinsicht gibt es zwar keine allgemeine, starre Höchstgrenze für die Inanspruchnahme des Nichtstörers. Maßgeblich ist letztlich, ob – noch – die Voraussetzungen des § 19 OBG vorliegen oder nicht.
– vgl. OVG NW, Urteil vom 19. Dezember 1958, a.a.O., S. 270; OVG NW, Beschluß vom 08. August 1958, ZMR 1958, 361; OVG NW, Beschluß vom 03. November 1981, OVGE 35, 303 (304) –
Doch ist in der Regel, d.h. sofern nicht ganz besonders gelagerte Umstände des Einzelfalles eine andere Beurteilung verlangen, jedenfalls nach Ablauf von 6 Monaten die äußerste Grenze erreicht.
– vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1959, DVBl. 1959, 401; BGH, Urteil vom 10. April 1961, a.a.O., S. 31; Drews-Wacke, Gefahrenabwehr, 7. Aufl., S. 260 (zitiert in der 9. Aufl. S. 336); Rietdorf-Heise-Böckenförde-Strehlau, a.a.O.; Rz. 15 zu § 19 OBG (6 Monate als Anhaltspunkt) –
Diese Rechtsprechung hat nach Auffassung der Kammer nach wie vor Gültigkeit. Zwar ist der in ihr teilweise herangezogene Obdachlosenerlaß vom 15. Januar 1970 (MBl. NW S. 106) i.d.F. vom 02. Juli 1975 (MBl. NW S. 1337) mit Wirkung vom 30. Juni 1982 aufgehoben worden (vgl. den Beschluß der Landesregierung vom 22. Juni 1982, MBl. NW S. 1089). Doch läßt sich daraus nicht etwa folgern, daß großzügigere Beschlagnahmezeiträume ermöglicht werden sollten. Vielmehr ging es bei der Aufhebung des Obdachlosenerlasses lediglich um die Beseitigung unnötig gewordener Ausstattungsstandards im kommunalen Bereich (so der Text des Beschlusses und des entsprechenden Vorworts des Ministerpräsidenten vom 22. Juni 1982). Ebensowenig besteht Anlaß, wegen der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt die vorerwähnte Rechtsprechung als...