Nachgehend

OVG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 27.04.2015; Aktenzeichen 8 B 10304/15)

 

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 22. Dezember 2014 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 12. Dezember 2014 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin je zur Hälfte und im Übrigen ihre eigenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 22. Dezember 2014 gegen die der Beigeladenen am 12. Dezember 2014 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Lebensmitteleinzelhandelsmarktes anzuordnen, ist gemäß § 80 a Abs. 3, § 80 Abs. 5 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 212 a BauGB statthaft und auch ansonsten zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin als Sondereigentümerin von Wohnungseigentum entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO auch antragsbefugt. Zwar kann sie sich als Sondereigentümerin von Wohnungseigentum an dem Grundstück A-Straße nicht auf solche Rechte berufen, die – wie der Gebietserhaltungsanspruch – das gemeinschaftliche Eigentum an dem Grundstück betreffen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 8. Juli 2013 – 2 CS 13.807 –, NVwZ 2013, 1622 = juris Rn. 7; Urteil vom 12. Juli 2012 – 2 B 12.1211 –, BauR 2012, 1925 = juris Rn. 23), denn die Geltendmachung dieser Rechte steht als Maßnahme der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 20 Abs. 1 WEG) gemäß § 21 Abs. 1 WEG allein den Wohnungseigentümern gemeinschaftlich und nicht dem einzelnen Wohnungseigentümer zu (vgl. OVG NW, Urteil vom 20. November 2013 – 7 A 2341/11 –, BauR 2014, 252 = juris Rn. 43; BayVGH, a.a.O. = juris Rn. 21). Die Antragsbefugnis der Antragstellerin ergibt sich vorliegend jedoch daraus, dass sie jedenfalls auch geltend machen kann, das der Beigeladenen genehmigte Vorhaben verstoße in Bezug auf die in ihrem Sondereigentum stehende Wohnung im Erd- und Kellergeschoss des Anwesens A-Straße gegen das Gebot der Rücksichtnahme und damit gegen eine nachbarschützende Vorschrift, die gerade auch dem Schutz des Sondereigentums dient (vgl. BayVGH, a.a.O. = juris Rn. 23; VG Bremen, Beschluss vom 14. Dezember 2014 – 1 V 1116/14 –, juris Rn. 51).

Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtene Baugenehmigung erweist sich nach der im Verfahren nach § 80 a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen summarischen Sach- und Rechtsprüfung als offensichtlich rechtswidrig, denn das Vorhaben der Beigeladenen verstößt in Bezug auf die im Sondereigentum der Antragstellerin stehende Wohnung im Erd- und Kellergeschoss des Nachbargrundstücks gegen das partiell drittschützende Gebot der Rücksichtnahme. Unter diesen Umständen gebührt dem Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres gegen die Baugenehmigung erhobenen Widerspruchs Vorrang vor dem Interesse der Beigeladenen an der umgehenden Verwirklichung ihres Bauvorhabens (vgl. OVG RP, Beschluss vom 8. Juli 2001 – 8 B 10855/01–, ESRIA).

Das im Begriff des „Einfügens” in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme betrifft das Austauschverhältnis zwischen dem Baugrundstück und der in der unmittelbaren Nähe vorhandenen Bebauung. Es stellt ab auf den engeren Kreis der in nachbarlicher Beziehung stehenden Grundstücke, d. h. auf die gegenseitige Verflechtung der baulichen Situation unmittelbar benachbarter Grundstücke (BVerwG, Urteil vom 16. September 2010 – 4 C 7/10 –, NVwZ 2011, 436 = juris Rn. 23). Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme hiernach im Einzelnen begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer demgegenüber die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 4 C 11/11 –, BVerwGE 145, 290 = juris Rn. 32).

Gemessen an diesen Voraussetzungen erweist sich der geplante Einzelhandelsmarkt als rücksichtslos, weil er aufgrund seiner optischen Präsenz und seines geplanten Standortes auf dem Baugrundstück in Bezug auf die Erd- und Kellergeschosswohnung der Antragstellerin auf dem Grundstück A-Straße eine die Grenze der Zumutbarkeit übersteigende Abriegelungswirkung entfaltet.

Zwar hält das Bauvorhaben unstreitig die Abstandsflächen nach § 8 LBauO ein. Eine bauliche Anlage kann aber auch bei Beachtung der notwendigen Abstandsflächen, die den Belangen einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung Rechnung tragen sollen, gegenüber dem Nachbargrundstück rücksichtslos sein, wenn ...

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