Entscheidungsstichwort (Thema)
Lärmbelästigung durch Kirchenglocken. liturgisches Glockengeläute. Überschreitung des Immissionsrichtwertes. ungestörte Religionsausübung. anderweitige Rechtshängigkeit. Lärmimmission. Antrag nach § 123 VwGO
Normenkette
VwGO § 123; GG Art. 2 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2, Art. 14; GVG § 17 Abs. 1 Nr. 2
Tenor
I. Auf den Antrag des Antragstellers zu 8) … wird die Antragsgegnerin verpflichtet, die Zeit des täglichen Gebetläutens um 12.00 Uhr mittags und 18.00 Uhr abends vom Kirchturm des Kirchenzentrums der evangelisch-lutherischen Pfarrgemeinde St. Lukas in Aschaffenburg-Nilkheim bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren auf jeweils 60 Sekunden zu beschränken. Im übrigen wird der Antrag des Antragstellers zu 8) abgewiesen.
Die Anträge der Antragsteller zu 1) bis 7) und 9) bis 21) werden in vollem Umfang abgewiesen.
II. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller zu 1), 2), 3) und 4), 5), 6), 7), 9). 10) und 11), 12). 13), 14) und 15). 16) und 17), 18, 19 und 20) sowie 21) jeweils ein Sechzehntel, wobei die Antragsteller zu 3) und 4), 10) und 11), 14) und 15), 16) und 17) sowie 19) und 20) den ein Sechzehntel-Anteil jeweils als Gesamtschuldner tragen.
Der Antragsteller zu 8) und die Antragsgegnerin tragen jeweils ein Zweiunddreißigstel der Kosten.
III. Der Streitwert wird auf 64.000,00 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
1. Mit Bescheid vom 03.07.1995 erteilte die Stadt Aschaffenburg der evangelisch-lutherischen Gesamtkirchenverwaltung die Baugenehmigung zum Neubau eines evangelisch-lutherischen Gemeindezentrums auf dem Grundstück Fl.Nr. 2413/13 der Gemarkung L. in Aschaffenburg, …-Platz …. Ausweislich der Auflagen Nrn. 69, 70 und 72 dieses Bescheides erstreckt sich die Baugenehmigung auch auf den Glockenturm. Immissionsschutzrechtliche Auflagen hinsichtlich des Glockenwerkes des Kirchturmes enthält dieser Bescheid nicht. Der Kirchturm ist im einschlägigen Bebauungsplan, der im Umgriff ein allgemeines Wohngebiet festsetzt, vorgesehen.
Mit Schreiben vom 30.07.1997 erhob die Antragstellerin zu 1), der die Baugenehmigung nicht zugestellt worden ist, bei der Stadt Aschaffenburg Widerspruch gegen die Baugenehmigung für den Glockenturm. Über den Widerspruch wurde noch nicht entschieden.
Ende Mai 1997 wurde das Glockenwerk des Kirchturmes, das aus drei Glocken besteht, von der Antragsgegnerin in Betrieb genommen. Das Schlagwerk der Turmuhr dient zwischen 08.00 Uhr morgens und 22.00 Uhr abends der Zeitansage. Die Glocken schlagen jeweils zur viertel Stunde einmal, zur halben Stunde zweimal, zur dreiviertel Stunde dreimal und zur vollen Stunde viermal. Zur vollen Stunde schlagen die Glocken zusätzlich entsprechend der jeweiligen Stundenzahl ein- bis zwölfmal. Außerdem läuten die Glocken zweimal täglich 140 Sekunden lang zum Gebet, nämlich um 12.00 Uhr mittags und um 18.00 Uhr abends. Sonntags findet um 10.00 Uhr das sog. Vorläuten 140 Sekunden lang statt und um 10.30 Uhr das sog. Zusammenläuten 265 Sekunden lang.
Mit Endurteil vom 29.07.1997 Az.: 24 C 1813/97 wies das Amtsgericht Aschaffenburg aufgrund mündlicher Verhandlung und nach Einnahme eines Augenscheins den Antrag der Antragstellerin zu 1) auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen die Antragsgegnerin zurück. Der Antrag war darauf gerichtet, 1) daß die Antragsgegnerin es zu unterlassen hat, das Glockenläutwerk des Kirchturmes zur Zeitanzeige zu betätigen und die jeweilige Uhrzeit durch Glockenschlag und/oder Glockengeläut anzuzeigen, 2) daß die Antragsgegnerin das Betätigen des Glockengeläuts zum Zwecke des Aufrufs der Gemeinde zur Versammlung in der Kirche zum gemeinsamen Feiern von Gottesdiensten zu beschränken hat und 3) daß der Antragsgegnerin aufgegeben wird, das Glockengeläut im Kirchturm so zu betreiben, daß Lärmimmissionen über 85 Dezibel nicht emittiert werden. Das Gericht stützte seine Entscheidung darauf, daß ein Verfügungsanspruch noch nicht glaubhaft gemacht worden sei. Schallmessungen seien noch nicht ausgeführt worden. Der Augenschein habe ergeben, daß die Intensität des Glockenläutens zur Zeitansage absolut erträglich sei. Das Glockenläuten zum Gebet sei zwar eine deutlich stärkere Geräuschkulisse, betreffe aber den Kernbereich der Religionsausübung.
Daraufhin gab die Antragstellerin zu 1) ein Lärmgutachten bei der TÜV-Anlagen und Umwelttechnik GmbH in Hessen in Auftrag, das von dieser am 03.09.1997 erstattet wurde. In diesem Gutachten ist als Immissionsort die Eigentumswohnung der Antragstellerin zu 1) im dritten Obergeschoß des Wohnhauses …-Platz …, die von dem Antragsteller zu 8) (…) als Mieter genutzt wird, festgelegt worden und zwar das Wohnzimmerfenster Nordseite, Aufprallhöhe ca. 12m über dem Boden. Der Glockenturm befindet sich ca. 12m von diesem Wohnhaus entfernt. Nach diesem Gutachten ergab sich beim Gebetsläuten von 140 Sekunden ein Maximalpegel von 88,9 dB(A) und beim Läuten zum Gottesdienst am Sonntag um 10.30 Uhr von 265 Sekunden ein Maximalpegel von 93,5 dB(A).
Nach dem Vorbringen der Antragstellerbevollmächtig...