Entscheidungsstichwort (Thema)
Kirchengemeinde. Morgendliches Glockengeläut. Liturgisches Glockengeläut. Lärmimmission. Unterlassungsanspruch. Religionsfreiheit. Eigentumsfreiheit. Unverletzlichkeit der Wohnung
Leitsatz (amtlich)
Eine auf Unterlassung des liturgischen Glockengeläuts gerichtete Klage ist nicht deshalb begründet, weil sich ein Anwohner durch das Glockengeläut in seiner Religionsfreiheit verletzt sieht.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, 3, Art. 4, 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; BImSchG § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1; KiStG BW § 24 Abs. 1
Verfahrensgang
VG Stuttgart (Urteil vom 13.12.2010; Aktenzeichen 11 K 1705/10) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 13. Dezember 2010 – 11 K 1705/10 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der beklagten evangelischen Kirchengemeinde die Unterlassung des täglich um 6.00 Uhr stattfindenden Glockengeläuts.
Der Kläger ist Eigentümer und Bewohner eines Hauses, das ca. 68 m von der Konradskirche der Beklagten entfernt liegt. Die Beklagte läutet jedenfalls an Werktagen jeweils um 6.00 Uhr die große Betglocke zwei Minuten lang mit einem Ausklang von 15 Sekunden. Dieser Brauch wird nach Angaben der Beklagten seit mindestens 1756 gepflegt.
Nachdem sich der Kläger außergerichtlich erfolglos bemüht hat, die Beklagte zu einem Verzicht auf das morgendliche Läuten zu bewegen, hat er am 12.05.2010 Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Glocken im Kirchturm der evangelischen Kirche in Remshalden-Geradstetten täglich zwischen 6.00 Uhr und 8.00 Uhr zu läuten oder läuten zu lassen. Zur Begründung hat er geltend gemacht, er werde durch das Glockengeläut in seiner Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt. Dies gelte ungeachtet seiner Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche. Er sei in seiner negativen Bekenntnisfreiheit betroffen, da er zur Wahrnehmung eines akustischen Zeichens gezwungen werde, das er selber als religiös ansehe, das kirchlicherseits aber nicht in den Bereich der grundrechtlich geschützten inneren Angelegenheiten i.S.d. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV falle. Es fehle zudem schon an einer gesetzlichen Grundlage für die „Verlärmung des Hausinnern von Kirchennachbarn”. Zur effektiven Gewährleistung seiner Grundrechte bestehe eine staatliche Schutz- und Abwendungspflicht. In diesem Zusammenhang seien auch die gesundheitlich nachteiligen Auswirkungen des Läutens für den Schlaf und eine Beeinträchtigung des Wertes seines Grundstücks zu berücksichtigen. Eine Selbstbindung der evangelischen Landeskirche BadenWürttemberg zur Unterlassung des Geläuts ergebe sich zudem aus einer Richtlinie vom 21.09.1967, nach der Kirchengemeinden zur Abwendung von Belästigungen, zur Vermeidung von Beschwerden und langwierigen Verfahren sowie unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wandels in Form veränderter Arbeitszeiten nicht vor 7.00 Uhr mit dem Glockengeläut beginnen sollten.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, bei dem liturgischen Glockengeläut handele es sich um eine sozial adäquate Tradition. Nach einer kirchengerichtlichen Auseinandersetzung habe man den klägerischen Beanstandungen bereits durch Anpassung des Schallpegels und Verzicht auf den nächtlichen Viertelstundenschlag Rechnung getragen. Für die Zeit ab 6.00 Uhr solle es dagegen bei dem hergebrachten Glockenläuten zu Tagesbeginn bleiben.
Mit Urteil vom 13.12.2010 – 11 K 1705/10 – hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig; da sie ein liturgisches Läuten betreffe, sei insbesondere der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Sie sei jedoch nicht begründet. Der Kläger könne einen Anspruch nicht unmittelbar aus Verfassungsrecht herleiten, auch wenn sein Begehren in den Schutzbereich der Glaubens- und Religionsfreiheit falle. Der klägerischen Inanspruchnahme der negativen Glaubensfreiheit stünden die verfassungsimmanenten Schranken der Religionsfreiheit der Beklagten entgegen. Die negative Bekenntnisfreiheit Einzelner könne die Ausübung der positiven Glaubensfreiheit anderer nicht verhindern. Schließlich sei ein Unterlassungsanspruch unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls auch nicht im Hinblick auf § 22 Abs. 1 BImSchG begründet.
Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor: Das Verwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung anzuerkennende Schutzpflichten des Staates nicht hinreichend berücksichtigt.
Der Kläger sei nicht nur in seiner negativen, sondern auch in seiner positiven Religions- bzw. Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 GG zu schützen. Er verwende die frühen Morgenstunden zu gelegentlicher Lektüre der Bibel oder zur Meditation....