Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Mehrzweckraum wegen möglicher Lärmbeeinträchtigungen durch Festveranstaltungen. Bauleitpläne. Nachbarschutz. Mehrzweckraum Festveranstaltung. Rücksichtnahmegebot. Wohngebiet. erteilter Baugenehmigung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Grenzen der Zumutbarkeit der bei relativ seltenen Festveranstaltungen entstehenden Lärmbeeinträchtigungen für die Nachbarschaft sind im Einzelfall individuell und konkret auf Grund der Art und des Ausmaßes der Störungen sowie der Eigenart und der Schützwürdigkeit der betroffenen Gebiete zu ermitteln. Dabei kommen die entsprechenden Regeln in der Sportanlagenlärmschutzverordnung – 18. BImSchV – der Problematik sogenannter seltener Ereignisse (höchstens 18 Tage im Jahr) am nächsten.
2. In die Beurteilung sind auch der mit dem An- und Abfahren von Kraftfahrzeugen üblicherweise verbundene Lärm (einschließlich des Öffnens und Zuschlagens der Türen) und normale nächtliche Unterhaltungen einzubeziehen, nicht dagegen offenkundig nicht erlaubtes Verhalten (hier: Blasen der Tuba).
3. Ferner ist in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, daß beispielsweise in der Faschingszeit allgemein mehr Verständnis für derartige Ereignisse und die mit ihnen einhergehenden Lärmbeeinträchtigungen erwartet werden kann und die Anwohner eines in der Nähe einer Schule oder eines Kindergartens liegenden Wohngebiets traditionelle dörfliche Festveranstaltungen hinzunehmen haben (Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen).
4 Die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung von Teilen eines ehemaligen Schulgebäudes in einen Mehrzweckraum und dessen Erweiterung mit einem Bühnenanbau braucht über die zahlenmäßige Begrenzung von seltenen Veranstaltungen hinaus nicht auch eine zeitliche Einschränkung zu enthalten.
Normenkette
BauGB § 30 Abs. 1; BauNVO § 15 Abs. 1; 18. BImSchV § 5 Abs. 5
Verfahrensgang
VG Karlsruhe (Urteil vom 16.03.1993; Aktenzeichen 1 K 1442/92) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16. März 1993 – 1 K 1442/92 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der beigeladenen Gemeinde.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine der beigeladenen Gemeinde erteilte Baugenehmigung zur Umnutzung des Untergeschosses eines ehemaligen Schulgebäudes in einen Mehrzweckraum und dessen Erweiterung mit einem Bühnenanbau.
Sie ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks …, das im Geltungsbereich des am 27.3.1992 von der beigeladenen Gemeinde geänderten Bebauungsplans „Im Viertel, Geisinger Höhe, Unteres Tal” liegt (vgl. auch den die Bebauungsplanänderung betreffenden Normenkontrollbeschluß des Senats vom 11.10.1993 – 8 S 2003/92 –).
Mit Bescheid vom 23.6.1992 erteilte das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis die Baugenehmigung für die „Nutzungsänderung der Schule in einen Kindergarten sowie Erweiterung des Kindergartens mit Mehrzweckraum”. Nach Nr. 12 der besonderen Hinweise Auflagen und Bedingungen zur Baugenehmigung sind bis zur Schlußabnahme 31 Kraftfahrzeugabstellplätze entsprechend der Darstellung in den genehmigten Plänen als Stellplätze bzw. Garage (…) betriebsfertig herzustellen. Zugleich wurden die Nachbareinwendungen der Klägerin mit gesondertem Schreiben vom selben Tag zurückgewiesen; dabei wurde zur Begründung unter anderem auf die schalltechnische Untersuchung des Kreisplanungsamts des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis von 19.12.1991 hingewiesen. Danach werde auch bei Zugrundelegen der ungünstigsten Ausgangslage bei seltenen Ereignissen (an 18 Tagen und Nächten im Jahr) mit 48,1 dB(A) tagsüber und 45/1 dB(A) nachts der zulässige Richtwert für derartige Ereignisse von 55 dB(A) unterschritten. In diesem Gutachten werden auch die Angaben der beigeladenen Gemeinde zitiert, wonach in dem Mehrzweckraum in den Jahren 1989 bis 1991 jährlich fünf bis neun kulturelle Veranstaltungen, zwei bis vier sportliche Veranstaltungen und zwei bis vier private Geburtstags- oder Jubiläumsveranstaltungen stattfanden, also insgesamt neun bis 17 Veranstaltungen pro Jahr.
Gegen diese Baugenehmigung legte die Klägerin am 1.7.1992 insoweit Widerspruch ein, als darin die bauliche Erweiterung und Nutzungsänderung des Untergeschosses der ehemaligen Schule in einen Mehrzweckraum genehmigt wurde. Gegen die Erweiterung des Kindergartens im Obergeschoß bestünden keine Einwendungen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die Bebauungsplanänderung sei nichtig; im übrigen seien zu wenig Stellplätze ausgewiesen worden.
Mit Bescheid vom 4.9.1992 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch zurück. In einem allgemeinen Wohngebiet sei auch eine Mehrzweckhalle in der hier geplanten Größe, in der u. a. sportliche und kulturelle Veranstaltungen geplant seien (z. B. Sportveranstaltungen auf örtlicher Ebene), zulässig. Auch ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liege nicht vor. Bezüglich der Sportveranstal...