Rechtskraft nein
Entscheidungsstichwort (Thema)
Eignung für angestrebtes Amt. Beurteilungsspielraum. Beurteilungsermächtigung. Staatliche Schulgestaltung. Staatlicher Erziehungsauftrag. Religionsfreiheit. Bekenntnisfreiheit. religiöse Neutralität. schonender Ausgleich. Benachteiligungsverbot. religiös-motiviertes Kopftuch. Einstellung in den Schuldienst
Leitsatz (amtlich)
Die Einschätzung des Dienstherrn, eine Lehramtsbewerberin sei wegen des von ihr aus religiösen Gründen beabsichtigten Tragens eines Kopftuchs im Unterricht für das angestrebte Amt einer Grund- und Hauptschullehrerin im öffentlichen Schuldienst ungeeignet, hält sich innerhalb der Grenzen des dem Dienstherrn eingeräumten Beurteilungsspielraums.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 2-3, Art. 4 Abs. 1-2, Art. 6 Abs. 2 S. 1, Art. 7 Abs. 1, Art. 33 Abs. 2-3, Art. 140; LVerf Art. 12, 15-16; LBG § 9 Nr. 1, § 11 Abs. 1, § 70 Abs. 1
Verfahrensgang
VG Stuttgart (Urteil vom 24.03.2000; Aktenzeichen 15 K 532/99) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. März 2000 – 15 K 532/99 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten, sie als Beamtin auf Probe in den Schuldienst einzustellen.
Die Klägerin wurde im Jahre 1972 in Kabul (Afghanistan) geboren. Sie ist muslimischen Glaubens. Mit Einbürgerungsurkunde vom 14.6.1995 erwarb sie die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Klägerin bestand im Jahre 1996 die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Nach Ableistung des Vorbereitungsdienstes bestand sie am 29.7.1998 die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Ihren daraufhin gestellten Antrag auf Einstellung in den Schuldienst an den Grund- und Hauptschulen des Beklagten lehnte das Oberschulamt Stuttgart mit Bescheid vom 10.07.1998 ab. Zur Begründung führte das Oberschulamt aus: Die Klägerin sei für den Schuldienst nicht geeignet, da sie bei dem Einstellungsgespräch am 09.07.1998 erklärt habe, auf das Tragen eines Kopftuchs während des Unterrichts nicht verzichten zu wollen. Das Tragen des Kopftuchs gelte innerhalb der islamischen Diskussion nicht nur als religiöses Symbol, sondern auch als Zeichen für kulturelle Abgrenzung und damit auch als politisches Symbol. Die Klägerin habe zwar ausgeführt, dass das Kopftuch nicht ein Zeichen ihres Glaubens, sondern Merkmal ihrer Persönlichkeit sei. Davon sei die objektive Wirkung aber nicht abhängig. Das Tragen des Kopftuchs habe eine Signalwirkung, die sich mit dem Neutralitätsgebot der Schule nicht vereinbaren lasse. Als Lehrerin an einer öffentlichen Schule sei die Klägerin sowohl erzieherisches Vorbild als auch Repräsentantin des Staates für die Werte und Normen der Grundordnung, wozu an entscheidender Stelle das Gebot der Toleranz gehöre. Die Wahrung der Religionsfreiheit setze voraus, dass die Mitglieder der verschiedenen Religionsgemeinschaften mit dazu beitrügen, Religion vor politischer Vereinnahmung zu schützen, religiöse Vielfalt zu wahren und die kulturelle Integration zu fördern.
Gegen den Ablehnungsbescheid erhob die Klägerin Widerspruch, den sie im Wesentlichen damit begründete, dass das Tragen des Kopftuchs nicht nur Merkmal ihrer Persönlichkeit, sondern auch Ausdruck ihrer inneren religiösen Überzeugung sei. Gemäß den Vorschriften des Islam gehört das Tragen eines Kopftuchs zu ihrer islamischen Identität. Das Kopftuch dürfe nicht als Symbol missverstanden werden. Es diene nicht in erster Linie dazu, den Glauben nach Außen zu dokumentieren, sondern sei ein Schutzinstrument zur Einhaltung der religiösen Gebote. Die ablehnende Entscheidung verletze ihr aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG herrührendes Grundrecht auf Religionsfreiheit. Auch dürfe gemäß Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG ihr aus ihrer Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis kein Nachteil entstehen. Die vom Oberschulamt angeführten Schwierigkeiten beruhten auf Vorurteilen gegenüber islamischen Frauen. Es sei ein Gebot der Toleranz, dass das Tragen des Kopftuchs durch eine Lehrerin von der Öffentlichkeit hingenommen werde. Sie solle einer Schule zugewiesen werden, an der sich die Eltern und Lehrer entsprechend tolerant verhielten. Die Schüler würden durch das Tragen des Kopftuchs nicht in unzulässiger Weise beeinflusst werden. Sie sei sich bewusst, dass sie die weltanschauliche Freiheit der Schüler zu respektieren habe und werde sich dementsprechend zurückhalten. Während ihrer Tätigkeit als Referendarin habe es keine Schwierigkeiten gegeben.
Das Oberschulamt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.1999 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, Art. 33 Abs. 3 GG verbiete zwar die Ablehnung eines Bewerbers allein wegen seines religiösen Bekenntnisses, schließ...