Sachverhalt
Bei dem Verfahren ging es um die Frage, ob Anzahlungen, die Gäste bei der Reservierung von Hotelzimmern entrichtet hatten und die nach der Stornierung der Zimmer von dem Hotelbetreiber einbehalten wurden, steuerbares Leistungsentgelt oder nicht steuerbarer Schadensersatz sind. Im Streitfall stand den Hotelgästen ein Rücktrittsrecht zu. Dies ergab sich aus den besonderen französischen Verbraucherschutzbestimmungen. Danach gelten, soweit nichts anderes vertraglich vereinbart ist, für eine Leistung im Voraus gezahlte Beträge als "Angeld". Dies hat zur Folge, dass jede Vertragspartei (wirksam) vom Vertrag zurücktreten kann. Für den Fall, dass der Verbraucher zurücktritt, verliert er seine Anzahlung (Angeld). Tritt der leistende Unternehmer zurück, muss er dem Kunden das Angeld doppelt zurückzahlen. In einem solchen Fall befreit der Rücktritt vom Vertrag vollständig von den Folgen der Nichterfüllung des Vertrags. Das Angeld stellt somit eine pauschalierte Rücktrittsentschädigung dar.
Der EuGH hatte sich bislang mit der Abgrenzung Schadensersatz/Leistungsentgelt noch nicht befasst. Zum Leistungsaustausch hat er in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Besteuerungsgrundlage einer Dienstleistung alles das ist, was als Gegenleistung für den geleisteten Dienst empfangen wird, dass eine Dienstleistung nur dann "steuerpflichtig" (will heißen: steuerbar) ist, wenn zwischen dem geleisteten Dienst und der erhaltenen Gegenleistung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (vgl. EuGH, Urteil v. 08.03.1988, 102/86 (Apple and Pear Development)) und dass eine Dienstleistung nur dann im Sinne von Artikel 2 Nr. 1 der 6. EG-Richtlinie gegen Entgelt erbracht wird und somit "steuerpflichtig" ist, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet (vgl. EuGH, Urteil v. 03.03.1994, C-16/93 (Tolsma)).
Entscheidung
Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung kommt der EuGH im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass das Angeld kein Leistungsentgelt, sondern Schadensersatz darstellt. Er begründet dies damit, dass der Abschluss eines Vertrags bzw. das Bestehen einer rechtlichen Beziehung zwischen den Vertragsparteien grundsätzlich nicht von der Leistung eines Angelds abhängig ist. Die Verpflichtung, den Vertrag zu erfüllen, beruhe nicht auf dem Angeld, sondern auf dem Vertrag selbst. Somit könne keine Leistungsbeziehung in dem Sinne konstruiert werden, dass der Hotelbetreiber sich gegen Leistung des Angelds verpflichte, mit keinem Dritten einen Vertrag zu schließen, der die mit dem Kunden getroffene Vereinbarung beeinträchtigt. Diese Verpflichtung des Hotelbetreibers ergebe sich direkt aus dem Beherbergungsvertrag und nicht aus dem Angeld. Da es sich bei dem Angeld gerade um eine pauschale Entschädigung handele, könne auch nicht deshalb ein Leistungsentgelt (für die Leistungsbereitschaft des Hotelbetreibers) konstruiert werden, weil der dem Hotelbetreiber entstehende Schaden in der Regel nicht mit der Höhe des Angeldes übereinstimmt.
Da das vom Kunden gezahlte Angeld Schadensersatz darstellt, gilt dies in gleicher Weise für den umgekehrten Fall, dass der Unternehmer wegen eines Rücktritts vom Vertrag den doppelten Anzahlungsbetrag zurückerstatten muss. Auch hier erbringt der Kunde keine Leistung gegenüber dem Unternehmer.
Das Urteil bestätigt die deutsche Rechtslage. Zu der Frage, ob Stornogebühren, die beispielsweise beim Rücktritt von Hotelreservierungen anfallen, Leistungsentgelt oder Schadensersatz darstellen, hat das BMF mit Schreiben vom 06.11.1997, IV C 3-S 7100-89/97 – Stellunggenommen (vgl. OFD Hannover v. 23.12.1997, S 7100-428-StO 352). Demnach ist bei der Beurteilung darauf abzustellen, ob dem Kunden, der die Buchung ("Reservierung") vorgenommen hat, auf Grund des dadurch zustande gekommenen Vertrags ein Rücktrittsrecht zusteht oder nicht. Ist der Kunde wirksam vom Vertrag zurückgetreten, handelt es sich bei den "Stornokosten" um eine Schadensersatzleistung für evtl. Vermögenseinbußen des Vertragspartners. Stand dem Kunden kein Rücktrittsrecht zu und konnte er sich nicht wirksam vom Vertrag lösen, sind die "Stornokosten" das Entgelt für das Bereithalten des Hotelzimmers und keine Schadensersatzleistung.
In dem zu Grunde liegenden Sachverhalt stand dem Kunden ein solches Rücktrittsrecht zu. Demnach sind die Stornozahlungen nach nationalem Recht als Schadensersatz zu beurteilen; die Annahme eines Leistungsentgelts scheidet dagegen aus.
Hinweis
Aus dem EuGH-Urteil können für den Fall des vertragswidrigen Rücktritts keine Rückschlüsse gezogen werden, dass bei einer dann entstehenden Vertragsstrafe ebenfalls kein Leistungsentgelt angenommen werden könnte. Ein solcher Fall lag im Ausgangsverfahren nicht vor. Das Urteil deutet vielmehr darauf hin, dass die Vertragsstrafe anders als das Angeld im Au...