I. Vorgabe des BVerfG: Keine pauschale Verschonung von Großvermögen
Rz. 15
In seinem Urt. v. 17.12.2014 hatte das BVerfG ausdrücklich bestätigt, dass umfassende erbschaftsteuerrechtliche Verschonungen und sogar die Vollverschonung durchaus mit dem Grundgesetz vereinbar sein können. Gleichzeitig hat es diese Aussage jedoch hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs auf kleine und mittlere Unternehmen eingeschränkt. Im Hinblick auf sog. Großunternehmen bzw. Großerwerbe hielt das Gericht die pauschale Gewährung solch umfassender Verschonungen jedoch für mit der Verfassung unvereinbar und forderte insoweit eine "Bedürfnisprüfung". Denn der Schutz bzw. Erhalt der übertragungsgegenständlichen Unternehmen erfordere ab einer bestimmten Größenordnung vielfach keine umfassenden Verschonungen. Vor diesem Hintergrund sei in diesen Fällen grundsätzlich zu prüfen, ob bzw. in welchem Umfang eine Steuerverschonung tatsächlich erforderlich sei.
Rz. 16
Mithin war der Gesetzgeber aufgefordert, eine entsprechende Bedürfnisprüfung in das Gesetz aufzunehmen und "präzise und handhabbare Kriterien für die Bestimmung" der Grenze, ab der diese greifen soll, festzulegen. Konkrete Vorgaben zur betragsmäßigen Bestimmung machte das BVerfG nicht. Vielmehr stellte es die Möglichkeit in den Raum, sich für die Definition kleiner und mittlerer (also grundsätzlich zu begünstigender) Unternehmen an Empfehlungen der EU-Kommission zu orientieren. Daneben hielten die Richter aber auch eine eigenständige gesetzliche Definition einer Obergrenze, jenseits derer eine Steuerbegünstigung ausgeschlossen werde, für ein angemessenes Instrument zur verfassungskonformen Begrenzung der steuerlichen Begünstigungen.
Rz. 17
Im Übrigen schloss das Gericht auch Begünstigungen für – wie auch immer zu definierende – Großerwerbe nicht grundsätzlich aus. Es forderte insoweit lediglich eine individuelle (und nicht pauschale) Prüfung der Begünstigungsbedürftigkeit. Dabei sei auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang durch die Erbschaft oder Schenkung nicht begünstigtes Vermögen erworben werde, mit dessen Hilfe eine etwaige Steuerbelastung bedient werden könne. Unter Umständen sei sogar eigenes Vermögen des Erwerbers (das dieser auf andere Weise erworben habe) mit in die Prüfung einzubeziehen.
II. (Neue) Verschonungskonzepte und Unterscheidung nach Größenklassen
Rz. 18
Vor dem Hintergrund der genannten verfassungsgerichtlichen Vorgaben hat der Gesetzgeber in § 13a Abs. 1 S. 1 ErbStG nicht nur eine absolute Erwerbsgrenze von 26 Mio. EUR für die Gewährung des Verschonungsabschlags in das Gesetz aufgenommen, sondern für die Beurteilung der sich im Falle des Überschreitens dieser Grenze ergebenden Rechtsfolgen eine weitere Prüfschwelle von 90 Mio. EUR eingeführt. Je nach festzustellendem Wert des Erwerbs ergeben sich nun unterschiedliche Rechtsfolgen, die der Steuerpflichtige (jedenfalls im Bereich von nicht mehr als 90 Mio. EUR) durch die Ausübung ihm zustehender Wahlrechte erheblich beeinflussen kann.
Rz. 19
Maßgeblich für die jeweiligen Größenklassen ist jeweils nicht die Größe des betroffenen Betriebes oder Unternehmens, das ganz oder teilweise auf den Erwerber übergeht. Entscheidend ist vielmehr stets der Wert des zum der Besteuerung unterliegenden Erwerb gehörenden begünstigten Vermögens. Dies entspricht zum einen den verfassungsrechtlichen Vorgaben und fügt sich zum anderen auch in die Grundkonzeption des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (Erbanfallsteuer) ein. Darüber hinaus trägt dieses Konzept auch dem Bereicherungsprinzip sowie dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (des Erwerbers) Rechnung.
Rz. 20
Für Erwerbe, bei denen die die Grenze von 26 Mio. EUR nicht überschritten wird, folgt das Verschonungsregime dem mit dem ErbStG 2009 eingeführten Konzept (85 % Regelverschonung mit Wahlrecht zur 100 % Vollverschonung).
Rz. 21
Liegt der für die Prüfung maßgebliche Wert des Erwerbs über 90 Mio. EUR, kommt eine Verschonung in Form eines (teilweisen) Steuererlasses nur auf der Grundlage einer (positiven) Verschonungsbedarfsprüfung in Betracht. Voraussetzung für den Steuererlass ist, dass dem Erwerber bei einer (typisierten) Analyse des ihm zur Verfügung stehenden Vermögens eine Begleichung der tariflichen Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer nicht zugemutet werden kann, ohne das erworbene Unternehmensvermögen zu gefährden.
Rz. 22
Für Erwerbe, deren Wert zwar 26 Mio. EUR übersteigt, aber nicht über 90 Mio. EUR liegt, besteht zugunsten des Steuerpflichtigen ein Wahlrecht, ob ein (entsprechend dem Umfang, in dem die Schwelle von 26 Mio. EUR überschritten ist) abgeschmolzener Verschonungsabschlag oder ein (teilweiser) Steuererlass auf der Grundlage der angesprochenen Verschonungsbedarfsprüfung in Anspruch genommen werde...