A. Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Begünstigungen für bestimmtes, der Erwerbstätigkeit dienendes Vermögen enthält das deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht schon seit langem. Ab 1.1.1994 galt insoweit der sog. Betriebsvermögensfreibetrag sowie ein zusätzlicher Bewertungsabschlag[1] (für inländisches land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Betriebsvermögen, Mitunternehmeranteile und Kapitalgesellschaftsbeteiligungen mit einem Umfang von mehr als 25 %), dessen Umfang von ursprünglich 256.000 EUR bzw. 40 % durch das Haushaltsbegleitgesetz v. 29.12.2003[2] für Steuerfälle ab dem 1.1.2004 auf 228.000 EUR bzw. 35 % reduziert wurde, bis durch das ErbStG 2009[3] eine konzeptionelle Neuorientierung erfolgte. Diese nahm der Gesetzgeber nicht aus freien Stücken vor, sondern als Reaktion auf die Entscheidung des BVerfG, dass das ErbStG 1996 – insbesondere im Hinblick auf die Art und Weise des Ineinandergreifens von Bewertungs- und Begünstigungsnormen – mit dem Grundgesetz unvereinbar war.[4]

 

Rz. 2

Im Unterschied zum zuvor geltenden Recht brachte das ErbStG 2009 zunächst eine Vereinheitlichung der für Erbschaft- und Schenkungsteuerzwecke anzulegenden Wertmaßstäbe für sämtliche Vermögensarten (und im Unternehmensbereich auch unabhängig von der Rechtsform) mit sich. Entsprechend den verfassungsgerichtlichen Vorgaben kommt es seitdem allein auf den gemeinen Wert (§ 9 BewG) an. Dieser kann für unternehmerisches Vermögen auch (nach der Wahl des Steuerpflichtigen) anhand des sog. Vereinfachten Ertragswertverfahrens (§§ 199 ff. BewG) ermittelt werden.

 

Rz. 3

Die Begünstigungen für sog. Produktivvermögen waren nach dem ErbStG 2009 unabhängig von der Bewertung. Sie bestanden vor allem in einem sog. Verschonungsabschlag in Höhe von 85 % (Regelverschonung oder bei entsprechender Wahlrechtsausübung durch den Steuerpflichtigen sogar 100 % (Vollverschonung).

Voraussetzung für die Gewährung dieser Verschonungen war zum einen die Zugehörigkeit des Vermögens zu einer bestimmten Vermögensart (land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Betriebsvermögen, Mitunternehmeranteile und Kapitalgesellschaftsbeteiligungen mit einem Umfang von mehr als 25 %), wobei ein Inlandsbezug wegen Europarechtswidrigkeit nicht mehr gefordert wurde. Vielmehr genügte die Belegenheit des entsprechenden Vermögens im EU-/EWR-Raum. Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, die Mindestbeteiligungsquote bei Kapitalgesellschaftsbeteiligungen (mehr als 25 %) auch durch Poolung mit anderen Gesellschaftern zu erreichen.

 

Rz. 4

Weitere Voraussetzung für eine Begünstigung war, dass das zu begünstigende Vermögen nicht überwiegend (zu mehr als 50 %) aus sog. Verwaltungsvermögen (Vermögensgegenstände, die nach gesetzlicher Definition nicht produktiven Zwecken, sondern mehr der risikolosen Vermögensverwaltung dienten) bestand. Die Ausübung des Wahlrechts zur Vollverschonung setzte sogar eine Verwaltungsvermögensquote von nicht mehr als 10 % voraus.

 

Rz. 5

Um die einmal gewährten Verschonungen nicht später wieder zu verlieren, musste der Steuerpflichtige das erworbene Unternehmen fortführen, und zwar über einen Zeitraum von fünf Jahren (bei der Vollverschonung: sieben Jahre),[5] und innerhalb dieses Zeitraums bestimmte Lohnaufwendungen tätigen. Mithilfe dieses sog. Lohnsummenkriteriums versuchte der Gesetzgeber die umfassenden steuerlichen Begünstigungen durch eine nachgewiesene Sozialbindung des begünstigten Vermögens (Arbeitsplatzerhalt) zu rechtfertigen. Allerdings griff das Lohnsummenkriterium erst aber einer Beschäftigtenzahl von mehr als 20 überhaupt ein, so dass es in einer Vielzahl von Fällen von vornherein keine Rolle spielte und hier eine Lohnsummenkontrolle gar nicht stattfand.

 

Rz. 6

U.a. deswegen und auch im Hinblick auf die nicht besonders trennscharfe Abgrenzung des nicht zu begünstigenden Verwaltungsvermögens vom begünstigungswürdigen Produktivvermögen (Stichwort: Alles-oder-Nichts-Prinzip) verwarf das BVerfG mit Urt. v. 14.12.2014 auch das ErbStG 2009. Und das, obwohl der Gesetzgeber einige bereits durch den BFH – zu Recht – gegeißelten (weil der eigentlichen gesetzgeberischen Intention offensichtlich zuwiderlaufenden) Gestaltungsmöglichkeiten (vor allem der sog. Cash-GmbH) bereits vorher durch Änderungen im Rahmen des AmtshilfeRLUmsG[6] den Boden entzogen hatte.

 

Rz. 7

Die wesentlichen Kritikpunkte des BVerfG lassen sich im Überblick wie folgt zusammenfassen:

Die Abgrenzung des Verwaltungsvermögens sei zum einen nicht zielgenau genug (Alles-oder-Nichts-Prinzip) und zum anderen mit einem unschädlichen Anteil von bis zu 50 % am Unternehmenswert zu großzügig.
Die Lohnsummenregelung träfe nur eine zu geringe Anzahl praktischer Fälle, da die Anwendbarkeitsgrenze von mehr als 20 Beschäftigten ca. 98 % aller Unternehmen vom Anwendungsbereich der Lohnsummenkontrolle ausnehme.
Die Gewährung umfassender Verschonungen unabhängig vom Wert des übergehenden begünstigten Vermögens sei überbordend und begünstige in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise auch Erwerber, bei denen derartige Begü...

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