I. Verweisung an ein Gericht gleicher Instanz wegen örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit oder anderweitig gegebenem Rechtsweg (Horizontalverweisung)
1. Grundsatz
Rz. 9
Wird eine Sache an ein Gericht der gleichen Instanzenstufe abgegeben oder verwiesen, so gilt § 20 S. 1: Die Verfahren vor dem verweisenden oder abgebenden und dem übernehmenden Gericht bilden eine einzige Gebührenangelegenheit. Der Anwalt kann die Gebühren daher nur einmal verdienen (§ 15 Abs. 2).
2. Verweisung und Abgabe in erster Instanz
Rz. 10
Eine Abgabe oder Verweisung nach § 20 S. 1 wird in aller Regel nur in erster Instanz vorkommen. Es sind dies die Fälle, in denen der Rechtsweg nicht gegeben oder das angerufene Gericht sachlich oder örtlich unzuständig ist.
Rz. 11
Verweisung oder Abgabe in eine andere Gerichtsbarkeit:
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die erstinstanzliche Zivilkammer des LG verweist den Rechtsstreit an das ArbG oder das SG |
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das VG gibt das Verfahren an das FG ab |
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das SG verweist an das VG etc. |
Rz. 12
Verweisung oder Abgabe wegen örtlicher Unzuständigkeit:
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das LG Hamburg verweist den Rechtsstreit an das LG Frankfurt |
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das VG Köln verweist den Rechtsstreit an das VG Düsseldorf etc. |
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hierzu zählen auch die Fälle, in denen die Sache nach Bestimmung des zuständigen Gerichts (§ 36 Nr. 1 bis 4, 6 ZPO; §§ 13a, 14, 15 StPO) abgegeben oder verwiesen wird. |
Rz. 13
Verweisung wegen sachlicher oder funktioneller Unzuständigkeit innerhalb derselben Gerichtsbarkeit:
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das AG verweist an das LG, da der Streitwert über 5.000 EUR liegt oder weil es in der Sache um Amtshaftung geht (§ 71 Abs. 2 GVG) |
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das LG verweist eine Wohnraummietsache an das AG |
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das LG (erstinstanzliche Kammer) verweist eine Haushaltssache an das AG als FamG |
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das LG (erstinstanzliche Kammer) verweist eine sonstige Familienstreitsache nach § 266 FamFG an das AG als FamG |
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das LG (Strafkammer) eröffnet das Hauptverfahren vor dem AG (Strafrichter) |
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der Strafrichter am AG verweist an das Schwurgericht beim LG |
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das LG (erstinstanzliche Kammer) gibt die Sache an das als Schifffahrtsgericht zuständige AG ab |
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die Kammer für Handelssachen erster Instanz verweist an die Zivilkammer erster Instanz |
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das AG als Gericht der belegenen Sache gibt nach Widerspruch gegen eine einstweilige Verfügung die Sache gemäß § 942 ZPO an das zuständige LG ab |
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das OLG als (erstinstanzliches) Familiengericht gibt ein Verfahren an das FamG ab |
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das FamG gibt ein Verfahren an das OLG als FamG ab, da dies erstinstanzlich zuständig ist. |
Rz. 14
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Hierzu gehört auch der Fall, dass ein erstinstanzliches Gericht ein Eilverfahren nach §§ 937 Abs. 1 ZPO, 50 S. 2 FamG, 80 Abs. 5, 132 Abs. 2 VwGO, 86 Abs. 1 SGG an das zuständige Berufungs- oder Beschwerdegericht abgibt. Ein Instanzenwechsel ist damit nicht gegeben. Das Berufungs- bzw. Beschwerdegericht entscheidet vielmehr hinsichtlich der Eilsache als erstinstanzliches Gericht. |
3. Verweisung und Abgabe im Rechtsmittelverfahren
Rz. 15
Denkbar ist eine Verweisung auch im Rechtsmittelverfahren, wobei dieser Fall in Anbetracht der kurzen Rechtsmittelfristen in der Praxis kaum vorkommen dürfte.
Beispiel 1: Gegen das Urteil des LG Dortmund wird Berufung beim OLG Düsseldorf eingelegt. Das OLG Düsseldorf gibt die Sache auf Antrag an das zuständige OLG Hamm ab.
Beispiel 2: Gegen die Zurückweisung des Befangenheitsantrags gegen den Abteilungsrichter des Landwirtschaftsgerichts am AG legt der Anwalt Beschwerde zum LG ein. Das LG gibt die Sache an das nach § 22 LwVfG zuständige OLG ab.
Beispiel 3: Die Revision ist an das unzuständige Gericht gesandt worden, das sich für unzuständig erklärt (§ 348 Abs. 1 StPO). Die Staatsanwaltschaft gibt die Akten an das zuständige Gericht ab (§ 348 Abs. 2 StPO).
Beispiel 4: Gegen das Urteil des AG legt der Angeklagte "Rechtsmittel" ein. Das AG legt die Sache der kleinen Strafkammer am LG als Berufung vor. Die kleine Strafkammer ist der Auffassung, es handele sich um eine Revision und lässt die Sache analog § 348 Abs. 2, 3 StPO durch die Staatsanwaltschaft an das OLG abgeben.
Rz. 16
Ein Fall des § 20 S. 1 ist dagegen nicht gegeben, wenn ein Rechtsmittelgericht an das BVerwG als Gericht erster Instanz verweist (str.); siehe Rdn 51 f.
II. Zurückverweisung durch das Rechtsmittelgericht an ein zuvor befasstes vorinstanzliches Gericht (Vertikalverweisung)
1. Grundsatz
Rz. 17
Verweist ein Rechtsmittelgericht die Sache an ein vorinstanzliches Gericht zurück, das im Instanzenzug bereits mit der Sache befasst war, gilt grundsätzlich § 21 Abs. 1: Das Verfahren vor dem annehmenden Gericht ist gegenüber dem Ausgangsverfahren eine neue Angelegenheit – die Gebühren entstehen erneut. Das Verfahren nach Zurückverweisung ist dann das "weitere Verfahren" i.S.d. § 21 Abs. 1. Zu beachten ist allerdings die Anrechnungsbestimmung der VV Vorb. 3 Abs. 6. In Verfahren nach VV Teil 3 ist die Verfahrensgebü...