Dr. Manuel Tanck, Jaane Kind
I. Rechtsnatur
Rz. 2
Der Erbvertrag ist zum einen ein echter Vertrag, der durch zwei übereinstimmende, empfangsbedürftige Willenserklärungen zu Stande kommt. Zum anderen ist er eine Verfügung von Todes wegen. Er weist also eine "Doppelnatur" auf, die zur Folge hat, dass er als Vertrag zwar eine (erbrechtliche) Bindungswirkung entfaltet, aber durch ihn keine schuldrechtlichen Verpflichtungen entstehen, d.h. es wird niemals ein Anspruch gegen den Erblasser begründet, Rechte und Pflichten des Bedachten entstehen erst mit dem Erbfall. Es besteht auch keine rechtlich gesicherte Anwartschaft, denn der Bedachte erhält keine Rechtsposition, die vererbt oder übertragen werden könnte. Demzufolge sind erbrechtliche Ansprüche zu Lebzeiten des Erblassers nicht vormerkbar, selbst wenn der Erblasser die Eintragung bewilligt. § 1365 BGB oder § 311b Abs. 2 BGB finden auf den Erbvertrag als Verfügung von Todes wegen keine Anwendung. Der Erblasser kann außerdem über sein Vermögen unter Lebenden nach §§ 2286 ff. BGB verfügen. Allg. Vorschriften zum Vertragsrecht, insbesondere §§ 104 ff. BGB (vgl. § 2275 BGB), §§ 116 ff. BGB, §§ 145 ff. BGB und §§ 164 ff. BGB (vgl. § 2274 BGB) ebenso wie §§ 125, 134, 138 BGB finden dagegen grundsätzlich Anwendung.
II. Vertragliche Bindung
Rz. 3
Durch die Einigung der Vertragsparteien entsteht hinsichtlich der vertragsmäßigen Verfügungen eine vertragliche Bindung; sowohl frühere als auch spätere letztwillige Verfügungen sind, soweit der vertragsmäßig Bedachte beeinträchtigt wird, unwirksam (§ 2289 Abs. 1 BGB). Beim gemeinschaftlichen Testament ergibt sich die Bindungswirkung dagegen erst durch die Wechselbezüglichkeit (§§ 2270, 2271 BGB). Vertragsmäßig können – müssen aber nicht – nur Erbeinsetzungen, Vermächtnisse, Auflagen oder die Wahl der Anwendung eines bestimmten Erbrechts getroffen werden (§§ 1941 Abs. 1, 2278 Abs. 2 BGB). Der Erbvertrag muss mindestens eine vertragsmäßige Verfügung enthalten, andernfalls liegt kein Erbvertrag, sondern ein Testament vor. Andere letztwillige Verfügungen wie z.B. die Teilungsanordnung, Erbausschließung oder Ernennung eines Testamentsvollstreckers können dagegen nur einseitig verfügt werden; sie sind vollständig nach Testamentsrecht zu beurteilen (§ 2299 BGB). Während das Testament und die einseitigen Verfügungen frei widerruflich sind (§§ 2253 ff. BGB), ist die Widerruflichkeit der letztwilligen vertragsmäßig getroffenen Verfügung ausgeschlossen. Die erbvertragliche Bindung kann jedoch entfallen durch Anfechtung (§§ 2281 ff. BGB), durch einen Aufhebungsvertrag (§§ 2290 ff. BGB), durch Rücktritt (§§ 2293 ff. BGB) oder sie kann gegenstandslos werden: durch Ausschlagung, Erbverzicht oder Vorableben des Bedachten; ferner kann die Bindung dadurch ausgeschlossen werden, dass sich der Erblasser die Befugnis zur abweichenden letztwilligen Verfügung vorbehält, wobei dieser Vorbehalt nicht alle vertragsmäßigen Verfügungen erfassen darf, da ansonsten kein Erbvertrag vorliegt. Eine Anwendung der Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, wird i.d.R. nicht in Betracht kommen, da der Motivirrtum in den §§ 2078 Abs. 2, 2079, 2281 BGB berücksichtigt wird.
III. Vertragsschließende
Rz. 4
Im Unterschied zum gemeinschaftlichen Testament sind nicht nur die Ehegatten (§ 2265 BGB) oder gleichgeschlechtliche Lebenspartner (§ 10 Abs. 4 LPartG) zum Abschluss berechtigt, sondern auch andere Personen, wie z.B. Eltern und Kinder. Auch kann der Erbvertrag die Verfügung nur einer Person oder mehrerer Personen enthalten. Begünstigter kann entweder der Vertragspartner oder ein nicht beteiligter Dritter sein (§ 1941 Abs. 2 BGB). Wird ein Dritter bedacht, liegt kein Vertrag zugunsten Dritter gem. § 328 BGB vor, da der Erblasser keine Verpflichtung gegenüber dem Dritten eingeht. Bei Aufhebung des Erbvertrages ist daher die Zustimmung des bedachten Dritten nicht erforderlich. Der Erblasser kann die vertragsmäßige Verfügung nur höchstpersönlich treffen (§ 2274 BGB); dagegen kann der annehmende Vertragspartner, soweit er keine einseitige Verfügungen vornimmt (vgl. § 2064 BGB), sich vertreten lassen. Als Vertrag setzt der Erbvertrag zudem Geschäftsfähigkeit voraus, § 2275 BGB; die Besonderheiten bei Ehegatten und Verlobten, § 2275 Abs. 2 und 3 BGB a.F., sind durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen, welches am 22.7.2017 in Kraft getreten ist, weggefallen.
IV. Arten des Erbvertrages
Rz. 5
Während in einem einseitigen Erbvertrag nur der Erblasser vertragsmäßig Verfügungen von Todes wegen trifft und der Vertragspartner lediglich die Annahme erklärt und sich ggf. gleichzeitig zur Leistung unter Lebenden verpflichtet oder einseitig von Todes wegen verfügt (§ 2299 BGB), treffen in einem zwei- oder mehrseitigen Erbvertrag bei...