Rz. 15
Vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung war von Anfang an klar, dass auch im Rahmen des Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts das Pflichtteilsrecht nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden würde. Die Zielsetzung bestand vielmehr darin, das Pflichtteilsrecht an die seit Inkrafttreten des BGB eingetretenen gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen. Dabei hat sich der Gesetzgeber auf einige wenige punktuelle Änderungen beschränkt. Demzufolge wird auch nach Inkrafttreten der Neuregelungen zum 1.1.2010 eine bedarfsunabhängige und unentziehbare Mindestteilhabe der Pflichtteilsberechtigten am Nachlass gewährleistet. Die Rechtfertigung hierfür sieht der Gesetzgeber in einem Verhältnis gegenseitiger familiärer Verantwortung füreinander, wobei diese Verantwortung sowohl im Verhältnis Eltern zu Kindern als auch im umgekehrten Verhältnis Kinder zu Eltern ihren Niederschlag finden müsse. Testierfreiheit auf der einen und verfassungsrechtlich garantiertes Pflichtteilsrecht auf der anderen Seite bilden daher die beiden Contra-Punkte, zwischen denen die Überarbeitung des Pflichtteilsrechts zu erfolgen hatte. Konkret ging es dem Gesetzgeber darum, das Selbstbestimmungsrecht und damit verbunden die Testierfreiheit des Erblassers zu erweitern, die Rechte der Erben gegenüber den Pflichtteilsberechtigten zu stärken, Leistungen aufgrund von Familiensolidarität (insbesondere Pflegeleistungen) stärker zu honorieren bzw. auszugleichen und Vereinfachungen einzelner Regelungen sowie insgesamt eine Modernisierung des Pflichtteilsrechts vorzunehmen. Gleichzeitig sollte die erbrechtliche Sonderverjährung so weit wie möglich zugunsten der dreijährigen Regelverjährung zurückgedrängt werden. Einige der anfänglich in den Gesetzentwurf aufgenommenen Vorschläge wurden im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wieder gestrichen. Dies gilt insbesondere für die ursprünglich geplante Möglichkeit des Erblassers, auch nachträglich noch Ausgleichungs- bzw. Anrechnungsanordnungen durch letztwillige Verfügung treffen zu können.
Rz. 16
Im Ergebnis lassen sich die wesentlichen Veränderungen durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts vom 24.9.2009 in Ansehung des Pflichtteilsrechts wie folgt zusammenfassen:
Rz. 17
§ 2057a Abs. 1 S. 2 BGB wurde neu gefasst. Er lautet nunmehr: "Dies gilt auch für einen Abkömmling, der den Erblasser während längerer Zeit gepflegt hat". Das bisherige Erfordernis, dass diese Pflege unter Verzicht auf eigenes Einkommen erfolgen musste, ist gleichzeitig entfallen. Auch wenn sich die Ausgleichung nach § 2057a BGB in erster Linie auf die Erbauseinandersetzung bezieht, wirkt sie sich über § 2316 BGB auch – und das mitunter ganz erheblich – auf den Pflichtteil aus.
Rz. 18
Für den rechtlichen Berater besonders wichtig sind die Änderungen in § 2306 Abs. 1 BGB. Hier galten für Erbfälle vor dem 1.1.2010 unterschiedliche Rechtsfolgen, je nachdem, ob der dem Pflichtteilsberechtigten hinterlassene Erbteil über oder unter seiner Pflichtteilsquote lag. Diese Unterscheidung ist für Erbfälle nach dem 31.12.2009 entfallen. Nach aktuellem Recht kann der Pflichtteilsberechtigte, dem (irgend) ein beschwerter bzw. belasteter Erbteil hinterlassen ist, stets frei wählen, ob er den Erbteil (dann allerdings mit allen Beschränkungen und Beschwerungen) annehmen oder ihn ausschlagen und seinen Pflichtteil geltend machen möchte. Die Rechtslage ist dadurch der beim Vermächtnis (§ 2307 BGB) angenähert.
Rz. 19
§ 2325 Abs. 3 BGB wurde um eine sog. pro-rata-Regelung ergänzt. Die Folge ist, dass bereits während der schon nach altem Recht bekannten Zehn-Jahres-Frist eine wertmäßige Abschmelzung der im Rahmen von Pflichtteilsergänzungsansprüchen zu berücksichtigenden lebzeitigen Zuwendungen erfolgt. Für jedes volle Jahr, das zwischen Schenkung und Erbfall vergangen ist, mindert sich der in die Pflichtteilsergänzungsberechnung einzubeziehende Wert der Zuwendung um 1/10.
Rz. 20
Die Stundungsvorschrift des § 2331a BGB hat im Wesentlichen redaktionelle Änderungen erfahren. Sprach das Gesetz früher von einer "ungewöhnlichen Härte", soll nunmehr eine "unbillige Härte" für die Stundung genügen. Der Gesetzgeber hat hiermit eine Herabsetzung der Anforderungen angestrebt, gleichzeitig aber angeordnet, dass im Rahmen der Stundungsentscheidung auch die Interessen des Pflichtteilsberechtigten zu berücksichtigen seien. Große praktische Bedeutung scheint diese Änderung nicht gehabt zu haben.
Rz. 21
Schließlich wurde auch das Recht der Pflichtteilsentziehung (§§ 2333 ff. BGB) überarbeitet. Die Pflichtteilsentziehungsgründe wurden für alle Pflichtteilsberechtigten einheitlich in § 2333 BGB zusammengefasst. Die früheren §§ 2334 und 2335 BGB konnten daher entfallen. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber den Kreis der Personen, bei denen ein vom Pflichtteilsberechtigten gezeigtes Fehlverhalten eine Pflichtteilsentziehung rechtfertigt, erweitert. Nunmehr sind auch Lebenspartner und andere nahestehende Personen in den ...