A. Anwendungsbereich

 

Rz. 1

Die Vergütung in Berufungsverfahren, gleich ob in Zivilsachen oder arbeitsgerichtlichen Verfahren, verwaltungs- oder sozialgerichtlichen Verfahren o.Ä. – ausgenommen in Straf- und Bußgeldsachen sowie in Verfahren nach VV Teil 6 – richtet sich nach VV Teil 3, und zwar nach Abschnitt 2 Unterabschnitt 1, also nach den VV 3200 ff.

 

Rz. 2

Entsprechend anzuwenden sind die Vorschriften der VV 3200 ff.

in erstinstanzlichen finanzgerichtlichen Verfahren,
in Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren nach VV Vorb. 3.2.1 und
in schiedsrichterlichen Verfahren und Verfahren vor dem Schiedsgericht (§ 36 Abs. 1 S. 1).
 

Rz. 3

Dies gilt nicht nur für den Prozessbevollmächtigten einer Partei, sondern auch für den Verfahrensbevollmächtigten eines anderen Beteiligten (VV Vorb. 3 Abs. 1), insbesondere für den Vertreter eines Nebenintervenienten.

B. Umfang der Angelegenheit

 

Rz. 4

Das Berufungsverfahren ist gegenüber dem erstinstanzlichen Verfahren eine eigene Angelegenheit (§ 17 Nr. 1). Es beginnt für den Anwalt des Berufungsklägers mit Einlegung der Berufung (oder dem Antrag auf Zulassung der Berufung, auch wenn dieser vor dem Ausgangsgericht zu stellen ist, wie im Falle des § 124a Abs. 4 VwGO) und für den Anwalt des Berufungsbeklagten mit dem ersten auftragsgemäßen Tätigwerden nach Entgegennahme der gegnerischen Berufung (bzw. der Entgegennahme des Antrags auf Zulassung der Berufung im Falle des § 124a Abs. 4 VwGO) (zum selbstständigen Beweisverfahren siehe Rdn 23).

 

Rz. 5

Problematisch ist häufig die Auftragserteilung. Nach Auffassung des KG[1] ist bei Entgegennahme einer gegen seinen Mandanten gerichteten Rechtsmittelschrift durch den vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten anzunehmen, dass er anschließend prüft, ob etwas für den Mandanten zu veranlassen ist. Damit entfalte er eine Tätigkeit, die bereits die Verfahrensgebühr nach VV 3200 zum Entstehen bringe. In dieser Tätigkeit liege keine bloße Neben- bzw. Abwicklungstätigkeit der erstinstanzlichen Beauftragung gemäß § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9, sodass schon die Gebühr der VV 3200 anfalle, wenn auch gegebenenfalls nur in Höhe von 1,1 (VV 3201). Der BGH hat dagegen eine mit der Entgegennahme der Berufungsschrift verbundene Prüfung von Fragen, die gebührenrechtlich zur ersten Instanz gehören, für die Entstehung der Verfahrensgebühr des Berufungsverfahrens nicht ausreichen lassen.[2]

Die Abgrenzung zwischen den Instanzen bedarf stets der Prüfung im Einzelfall.

Erforderlich ist grundsätzlich immer ein Auftrag für das Rechtsmittelverfahren. Dieser kann auch schon zuvor (bedingt für den Fall der Einlegung des Rechtsmittels) erteilt worden sein. Auch ein konkludent erteilter Auftrag ist möglich.
Des Weiteren muss der Anwalt eine Tätigkeit entfaltet haben, die bereits zum Rechtsmittelverfahren zählt. Die Bestellung zur Akte ist dabei allerdings ebenso wenig erforderlich wie die Einreichung eines Schriftsatzes.[3]
 

Rz. 6

Eine bloße Neben- und Abwicklungstätigkeit i.S.v. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 (Zustellung oder Empfangnahme von Entscheidungen oder Rechtsmittelschriften und ihre Mitteilung an den Auftraggeber) liegt nicht mehr vor, wenn der Rechtsanwalt den begründeten Rechtsmittelschriftsatz entgegennimmt, diesen mit seinem Mandanten bespricht oder intern prüft, ob ein Mandant sich gegen das eingelegte Rechtsmittel wehren soll. Für diese Tätigkeiten entsteht bereits die Verfahrensgebühr nach VV 3200, 3201.[4] Das Betreiben des Geschäfts der zweiten Instanz kann sich beispielsweise auf eine Beratung des Mandanten oder auf die Beschaffung von Informationen beschränken; bereits geringfügige Tätigkeiten des Verfahrensbevollmächtigten, die in irgendeiner Weise der Durchführung des Verfahrens dienen, erfüllen die Voraussetzungen für eine Verfahrensgebühr.[5]

 

Rz. 7

Eine Tätigkeit des Anwalts im Hinblick auf die Zulassung der Berufung durch das Erstgericht gehört dagegen noch zum erstinstanzlichen Verfahren.

 

Rz. 8

Soweit eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung durch das Gericht der ersten Instanz erhoben wird, (derzeit nur in sozialgerichtlichen Verfahren vorgesehen), ist nach § 17 Nr. 9 bereits eine neue Angelegenheit (VV 3504, 3505) gegeben.

 

Rz. 9

Wird eine Berufung zurückgenommen und später erneut eingelegt, liegen zwei Angelegenheiten i.S.d. § 15 vor.

 

Rz. 10

Wechselseitig geführte Berufungen, die miteinander verbunden werden, gelten als eine Angelegenheit. Die Gebühren entstehen dann aus den zusammengerechneten Werten nur einmal (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 45 Abs. 2, Abs. 1 S. 1 GKG) (siehe § 15 Rdn 113).[6] Werden dagegen mehrere Berufungen getrennt geführt, so liegen mehrere Angelegenheiten vor, solange die Berufungen nicht verbunden werden. Getrennte Berufungen kommen in der Praxis allerdings kaum vor.

 

Beispiel: Gegen das Urteil des LG legt der Kläger zunächst Berufung ein, nimmt sie aber wieder zurück. Hiernach legt der Beklagte, dessen Berufungsfrist noch nicht abgelaufen ist, seinerseits Berufung ein.

Es liegen zwei verschiedene Angelegenheiten vor. Die Gebühren entstehen zweimal.

 

Rz. 11

Legt ei...

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