Rz. 54

Umstritten war schon zu BRAGO-Zeiten, ob in Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren bei der Bemessung der im Einzelfall angemessenen Gebühr nach § 12 Abs. 1 BRAGO (jetzt: § 14 Abs. 1) grundsätzlich von einer unterhalb der Mittelgebühr liegenden Vergütung auszugehen ist. Eine einheitliche Linie war hier in der Rechtsprechung kaum zu finden, da die Entscheidungen fast ausnahmslos von den Amtsgerichten getroffen wurden. Auch die Vielzahl der nicht mehr überschaubaren Entscheidungen gibt keine Klarheit.

 

Rz. 55

Auszugehen ist jetzt von der gesetzlichen Regelung, dass die Gebühren in Bußgeldverfahren eigenständig bemessen werden. Durch die Schaffung eigener Gebührentatbestände in VV Teil 5 hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass die Vergütung in Bußgeldsachen eine eigenständige Bedeutung haben soll und die Bestimmung der im Einzelfall angemessenen Gebühr sich allein nach der Bedeutung des jeweiligen Bußgeldverfahrens zu richten hat.

 

Rz. 56

Offen bleibt allerdings die Frage, ob straßenverkehrsrechtliche Bußgeldverfahren gegenüber anderen Bußgeldverfahren grundsätzlich geringer anzusetzen sind. Die überwiegende Meinung bejahte dies früher auf der Basis des § 105 BRAGO. Ausgehend von dem Vergleich aller möglichen Bußgeldverfahren mit Sanktionen bis zu 500.000 EUR seien verkehrsrechtliche Verfahren unterdurchschnittlich einzuordnen.[9] Dieser Vergleich der möglichen Sanktionen ist jedoch zu einseitig. Ordnungswidrigkeitenverfahren mit drohenden Bußgeldern in extremer Höhe bilden statistisch die Ausnahme (abgesehen davon, dass in der Praxis in solchen Verfahren ohnehin nur gegen Honorarvereinbarung verteidigt wird). Die statistisch überwiegende Zahl der Ordnungswidrigkeitenverfahren bewegt sich im Bereich bis 250 EUR. Der Höchstbetrag nach § 17 OWiG beläuft sich auf 1.000 EUR. Eine höhere Geldbuße ist nur aufgrund spezieller Gesetze möglich. Bewegt sich der statistische Durchschnitt aber im Bereich bis 250 EUR, so muss dies auch im Rahmen des § 14 Abs. 1 berücksichtigt werden. Dass aufgrund einzelner Spezialgesetze erheblich höhere Bußgelder anfallen können, hat keinen Einfluss auf den Durchschnitt. Danach ist in Verkehrssachen also auch grundsätzlich von einer Mittelgebühr auszugehen.[10] Das wiederum bedeutet aber nicht, dass in jedem Bußgeldverfahren die Mittelgebühr angemessen ist. Hier ist vielmehr nach dem jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, wie es § 14 Abs. 1 vorsieht. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber jetzt bereits durch drei verschiedene Gebührenrahmen – gestaffelt nach der Höhe des jeweiligen Bußgelds – die Höhe des Gebührenrahmens vorgegeben und damit die Bedeutung der Höhe des Bußgeldes berücksichtigt hat.

 

Rz. 57

Das von Baumgärtel[11] entwickelte Punktesystem, wonach für verschiedene Bemessungskriterien je nach Gewichtung verschieden hohe Punkte vergeben werden und die Summe der einzelnen Punkte dann anschließend mit einem bestimmten Betrag multipliziert wird, dürfte auf die neue Rechtslage kaum noch zu übertragen sein. Dieser Tabelle hatten sich einige Gerichte ausdrücklich angeschlossen.[12] Andere Gerichte hatten die Tabelle ausdrücklich abgelehnt.[13] Auch in den Kommentaren wurde diese Tabelle überwiegend abgelehnt. Der Nachteil der Tabelle liegt darin, dass die Punktezahl je Bemessungskriterium begrenzt ist und im Einzelfall außerordentliche Bemessungsfaktoren einen zu geringen Einfluss auf die Gesamtgebühr haben.

 

Rz. 58

Eine andere Berechnungsmethode schlägt Baldus[14] vor. Auch dieser Vorschlag wird von der Praxis jedoch bislang nicht aufgegriffen.

 

Rz. 59

Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass sich eine einheitliche Linie nicht feststellen lässt. Die Berufung auf grundsätzliche Erwägungen hilft nicht weiter. Der Anwalt sollte daher bei seiner Abrechnung die gesamten theoretischen Erwägungen außer Acht lassen und sich auf seinen Einzelfall konzentrieren. Die Erfahrung zeigt, dass sich sowohl Mandant als auch Rechtsschutzversicherer und Richter von konkreten einzelfallbezogenen Erwägungen leichter überzeugen lassen als durch eine endlose Zitatenreihe von Gerichtsentscheidungen, denen eine ebenso endlose Zitatenreihe entgegengesetzt werden kann. Begründet der Anwalt seine Bestimmung mit konkreten Tatsachen seines Falles, so kann daran kein Auftraggeber, kein Rechtsschutzversicherer und kein Gericht mit der lapidaren Begründung vorbeikommen, grundsätzlich sei in Verkehrssachen von einem geringeren Gebührenrahmen auszugehen. Erfahrungsgemäß bietet jeder Einzelfall genügend Umstände, die zur Begründung zumindest einer Mittelgebühr, wenn nicht gar zu einer höheren Gebühr, herangezogen werden können. Bietet ein Fall solche Anhaltspunkte nicht, dann ist er eben auch nur unterdurchschnittlich mit der Konsequenz, dass dann auch nur eine unter der Mittelgebühr liegende Vergütung anzusetzen ist.

 

Rz. 60

Bei seiner Bestimmung sollte der Anwalt sich an der Einteilung des § 14 Abs. 1 orientieren und nach Möglichkeit zu jedem der folgenden Aspekte Ausführungen machen:

Umfang der anwaltlichen Täti...

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