Sachverhalt
Bei dem italienischen Verfahren die Ablehnung eines Antrags auf Vorsteuervergütung nach der 8. EG-Richtlinie, den ein niederländisches Unternehmen am 27.7.2000 für den Vergütungszeitraum 1999 in Italien gestellt hatte. Die Erstattung wurde abgelehnt mit der Begründung, der Antrag sei nicht fristgerecht im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der 8. EG-Richtlinie eingereicht worden. Danach ist der Erstattungsantrag „spätestens sechs Monate nach Ende des Kalenderjahres, in dem die Steuer fällig geworden ist, an die in Art. 9 Abs. 1 der 8. EG-Richtlinie bezeichnete zuständige Behörde zu stellen. "Der Antrag ist in Druckschrift auszufüllen und spätestens am 30. Juni des Jahres, das auf das Jahr folgt, für das der Antrag gestellt wird, bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaates einzureichen, an den der Antrag gerichtet ist" (Anhang C Buchst. B der 8. EG-Richtlinie). Im vorliegenden Verfahren endete die Antragsfrist nach der 8. EG-Richtlinie am 30.6.2000. Das Vorlagegericht fragte den EuGH, ob die nach Art. 7 Abs. 1 der 8. EG-Richtlinie vorgesehene Frist von sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer fällig geworden ist, eine Ausschlussfrist darstellt und ob die Nichteinhaltung dieser Frist zum Erlöschen des Erstattungsanspruchs führt.
Entscheidung
Der EuGH hat entschieden, dass sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 letzter Satz der 8. EG-Richtlinie ergibt, dass die dort geregelte Antragsfrist von sechs Monaten eine Ausschlussfrist ist. Zwar könnten einige Sprachfassungen der Bestimmung - wie insbesondere die spanische ("dentro"), die italienische ("entro") und die englische ("within") - Zweifel an der Natur dieser Frist wecken, doch werde aus Anhang C Hinweis B der Sprachfassungen der 8. EG-Richtlinie deutlich, dass die fragliche Frist keine bloße Ordnungsfrist ist.
Zudem werde dies durch andere Sprachfassungen von Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 letzter Satz der 8. EG-Richtlinie bestätigt. So sieht diese Vorschrift z. B. in der französischen Sprachfassung ausdrücklich vor, dass ein Erstattungsantrag spätestens ("au plus tard") sechs Monate nach Ende des Kalenderjahrs, in dem die Steuer fällig geworden ist, zu stellen ist. Daraus folgt nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung, dass ein Vorsteuervergütungsantrag nach diesem Zeitpunkt nicht mehr zulässig gestellt werden kann (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteil v. 29.7.2010, C-54/09 P (Griechenland/Kommission), EuGHE 2010, I-7537, Randnr. 46).
Gleiches gilt insbesondere für die deutsche ("spätestens") und die niederländische ("uiterlijk") Sprachfassung. Zudem enthält Anhang C Hinweis B der 8. EG-Richtlinie zumindest in der deutschen, der französischen und der niederländischen Sprachfassung eine entsprechende Anmerkung, die diese Auslegung bestätigt.
Der EuGH verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die verschiedenen Sprachfassungen einer EU-Vorschrift einheitlich ausgelegt werden müssen. Wenn die Fassungen voneinander abweichen, muss die Vorschrift daher anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (vgl. u. a. EuGH-Urteil v. 29.4.2010, C-340/08 (M u. a.), EuGHE 2010, I-3913, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung). Unter diesen Aspekten ergäbe sich nach dem Urteil, wenn die in Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 letzter Satz der 8. EG-Richtlinie geregelte Frist von sechs Monaten als Ordnungsfrist auszulegen wäre, die Folge, dass die Mitgliedstaaten befugt wären, ihre eigenen Regelungen im Bereich der Rechtsverjährung anzuwenden. Dies stünde nach dem EuGH-Urteil jedoch dem mit der 8. EG-Richtlinie Ziel entgegen, "Unterschiede zwischen den gegenwärtig in den Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen ... zu beseitigen".
Hinweis
Das Urteil bestätigt die deutsche Rechtslage. Nach der ab 1.1.2010 geltenden Richtlinie 2008/9/EG sind Erstattungsanträge von EU-Unternehmern in anderen Mitgliedstaaten bis zum 30.9. des Folgejahres zu stellen (vgl. auch § 61 Abs. 2 Satz 1 UStDV sowie § 61a Abs. 2 Satz 1 UStDV mit der 6-Monatsfrist für Drittlandsunternehmer). Die Frist für Antragstellungen von EU-Unternehmern (binnen 9 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist), ist eine Ausschlussfrist, bei deren Versäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann (vgl. Abschnitt 18.13 Abs. 3 UStAE; vgl. auch Abschnitt 18.14 Abs. 5 UStAE für Anträge von Drittlandsunternehmern).
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 21.06.2012, C-294/11