Sachverhalt
In dem Verfahren ging es um die Frage, ob ein Mitgliedstaat Mehrwertsteuern im Verfahren nach der 8. EG-Richtlinie (Vorsteuervergütungsverfahren) erstatten muss, die der leistende Unternehmer aufgrund eines Irrtums über den Ort der Leistung entrichtet hat, für die jedoch ein anderer Mitgliedstaat das Besteuerungsrecht hat und für die der Leistungsempfänger die Steuer schuldet (Reverse-Charge).
Der Streitfall war wie folgt gelagert. Die in Deutschland ansässige Klägerin hatte im Jahr 1994 von einem in Italien ansässigen Unternehmen Werbeleistungen i.S.v. Artikel 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Artikel 56 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL) bezogen. Obwohl der Ort dieser Leistung sich nach dem Sitzort der Klägerei bestimmte, also in Deutschland lag (die Klägerin hatte in Italien auch keine feste Niederlassung, der gegenüber die Leistung hätte erbracht werden können) und die Klägerin als Leistungsempfängerin die Steuer schuldete (entsprechend § 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG; im Streitjahr noch Einbehaltung und Abführung der Umsatzsteuer im Abzugsverfahren bzw. Nullregelung) hatte das italienische Unternehmen in der Rechnung italienische Umsatzsteuer ausgewiesen, die die Klägerin auch bezahlt hatte. Das leistende Unternehmen hatte die irrtümlich in Rechnung gestellte Steuer auch an den italienischen Fiskus abgeführt. Die Klägerin beantragte die Rückerstattung der von ihr getragenen Steuer im Rahmen des Erstattungsverfahrens nach der 8. EG-Richtlinie.
Entscheidung
Der EuGH hat entschieden, dass eine solche (irrtümlich in Rechnung gestellte und im Mitgliedstaat, an den sich der Erstattungsantrag richtet, nicht geschuldete Mehrwertsteuer) nach den Artikeln 2 und 5 der 8. EG-Richtlinie nicht erstattungsfähig ist. Der EuGH verweist - zutreffend - darauf, dass die 8. EG-Richtlinie eine Art Durchführungsbestimmung für die 6. EG-Richtlinie darstellt, soweit es sich um Vorsteueransprüche im Ausland ansässiger Unternehmer handelt. Nach der 8. EG-Richtlinie kann sich demzufolge kein höherer Vorsteueranspruch ergeben, als er nach dem Recht des Erstattungsstaates für den Fall besteht, dass der Leistungsempfänger im Inland ansässig ist. Nach diesem Recht war der Vorsteuerabzug im Streitfall nicht entstanden, weil die abziehbare Steuer nicht (in Italien) geschuldet wurde. In diesem Zusammenhang verweist der EuGH auf sein Urteil vom 13.12.1989, C-342/87 (Genius Holding), wonach ein Vorsteuerabzugsrecht nur insoweit entsteht, als die abziehbare Steuer für den Umsatz geschuldet wird. Für irrtümlich in einer Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer entsteht kein Vorsteuerabzug, auch wenn die Steuer deshalb (nach Artikel 21 Abs. 1 Buchst. d der 6. EG-Richtlinie; ab 1.1.2007: Artikel 203 MwStSystRL) geschuldet wird.
Das Vorlagegericht hatte den EuGH des weiteren um Vorabentscheidung gebeten, ob ggf. der Neutralitätsgrundsatz bzw. die Grundsätze der Effektivität und der Nichtdiskriminierung es gebieten, dass dem Leistungsempfänger ein Recht auf Rückerstattung nicht geschuldeter, dem Antragsstaat aber gleichwohl zugeflossener Mehrwertsteuer zusteht. Auch dies verneint der EuGH. Nach seiner Ansicht ist mangels einer Rechtsgrundlage in der 6. EG-Richtlinie die Rückerstattung dem Fiskus nicht zustehender Abgaben Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten. Mit Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung - EuGH, Urteil v. 19.9.2000, C-454/98 (Schmeink & Cofreth und Strobel) - hält der EuGH es für zulässig, wenn - wie nach italienischem Recht (aber wohl auch nach dem Recht anderer Mitgliedstaaten und Deutschlands) nur das italienische Unternehmen als Leistungserbringer die zu Unrecht gezahlte Steuer vom italienischen Fiskus zurückverlangen kann und die Klägerin ihren Rückerstattungsanspruch zivilrechtlich gegenüber dem italienischen Unternehmen geltend machen soll.
Der EuGH sieht allerdings (und das ist im Vergleich zu früheren Rechtsprechung zwar folgerichtig, aber auch ein neuer Aspekt) auch die Möglichkeit, dass der Anspruch auf Rückerstattung der Steuer nicht zivilrechtlich beim leistenden Unternehmer sondern unmittelbar bei der Finanzbehörde (bzw. dem Fiskus, der die Steuer vereinnahmt hat) geltend gemacht wird. Ein solcher Fall soll nach dem Urteil vorliegen, wenn ansonsten die Erstattung unmöglich oder übermäßig erschwert würde, z.B. im Fall der (Rück-)Zahlungsunfähigkeit des leistenden Unternehmers.
Dies deckt sich im Ergebnis mit der Entscheidung des EuGH in der Sache C-454/98 (a.a.O.). Der EuGH hat dort entschieden, dass es zwar grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuern berichtigt werden können. Wenn der Aussteller der Rechnung allerdings die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt hat, verlangt - so der EuGH - der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass die ausgewiesene Mehrwertsteuer berichtigt werden kann. Diese Berichtigung hängt nicht davon ab, dass der Rechnungsau...