Leitsatz
Zu den Voraussetzungen, unter denen es dem Versicherer, der die vor Vertragsschluss gebotene Risikoprüfung unterlässt, verwehrt ist, später ein Anfechtungs- oder Rücktrittsrecht geltend zu machen
Normenkette
§§ 16 ff. VVG
Sachverhalt
Der VN der klagenden Ehefrau hatte 1985 bei dem beklagten Lebensversicherer eine Lebensversicherung abgeschlossen und die Formularfragen nach Krankheiten, Gesundheitsstörungen und Leiden sowie Operationen beantwortet mit Bechterew 1982 und Bandscheibenoperation 1972 und die behandelnden Ärzte angegeben. Die seit 1979 bestehende und seit 1983 medikamentös ohne Besserung behandelte Lebererkankung hatte er verschwiegen. Bei weiteren Fragen nach Rentenbezug aus Gesundheitsgründen und zu den Fragen, ob für Versicherungen auf das Leben des VN Beitragszuschläge oder Leistungseinschränkungen verlangt wurden oder eine Lebensversicherung nicht zustande kam, hatte der VN das Ja-Kästchen angekreuzt.
1987 verstarb der VN. Der Versicherer trat wegen arglistiger Täuschung bei Antragstellung zurück und verweigerte die Auszahlung der Lebensversicherungssumme an die bezugsberechtigte Ehefrau bzw. an die Bank, an die die Ehefrau ihren Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme abgetreten hat.
Klage und Berufung der zur Prozessführung berechtigten Bank sind erfolglos geblieben. Ihre Revision hatte Erfolg.
Entscheidung
Nach der Entscheidung des BGH konnte sich der Versicherer nicht auf eine Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung berufen. Bei Fragenkatalogen der vorliegenden Art, in denen dem Antragsteller eine Fülle von Antworten abverlangt und die Art der Beantwortung weitgehend vorgeschrieben werde, könne dieser nicht mehr selbständig entscheiden, wie er seiner Anzeigeobliegenheit gem. § 16 VVG, § 17 VVG genüge. Ihnen komme eine Berechtigung nur dann und deshalb zu, wenn und weil sich der Befragte darauf verlassen dürfe, dass der Versicherer das ausgefüllte Formular sorgsam durchsehen und seine vor Vertragsschluss gebotene Risikoprüfung an sämtlichen Angaben im Formular ausrichten, Angaben also nicht - ganz oder teilweise - unbeachtet lassen werde. So vorzugehen sei der Versicherer gerade deshalb gehalten, weil er mit Auswahl und Vorformulierung der Fragen und seinem Verlangen, sie ausnahmslos beantwortet zu bekommen, zum Ausdruck gebracht habe, er benötige alle erbetenen Auskünfte für seine Prüfung, ob er den gewünschten Vertrag schließen könne oder nicht. Führten die Antworten ihm vor Augen, dass der Antragsteller hiermit seiner Anzeigeobliegenheit (verschuldet oder nicht verschuldet) noch nicht genügt habe und sie ihm ohne ergänzende Rückfragen eine sachgerechte Risikoprüfung (noch) nicht erlaubten, so dürfe er vor dieser Situation seine Augen nicht verschließen. Andernfalls werde er als der durch Sachwissen und Geschäftserfahrung überlegene Partner seiner Stellung nicht gerecht. Daran könne sich auch nichts ändern, wenn er Anlass zu der Annahme habe, der Antragsteller versuche, ihn arglistig zu täuschen. Auch in diesen Fällen bleibe der Versicherer zu einem korrekten Vorgehen, nämlich einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung vor Vertragsschluss, gehalten, wie es die Regelung in den § 16 ff. VVG voraussetze. Unterlasse er diese Risikoprüfung, die ihm die bisherigen Antworten eben noch nicht ermöglichten, und stelle sich später heraus, dass er durch die gebotenen Rückfragen auch diejenigen Tatsachen vor dem Vertragsschluss erfahren hätte, aus denen er später ein Anfechtungs- oder Rücktrittsrecht herleiten wolle, so bleibe ihm aufgrund seines vorangegangenen Verhaltens verwehrt, diese Rechte noch geltend zu machen. Die dem Versicherer durch die gesetzlichen Anzeigeobliegenheiten des Antragstellers eingeräumte Risikoprüfungsmöglichkeit vor Vertragsschluss könne von dem Versicherer nicht nach Belieben zurückgestellt und auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls verschoben werden. Das liefe ihrem Sinn und Zweck zuwider: Sie soll klare Verhältnisse vor Vertragsschluss schaffen.
Hätte der Versicherer das ausgefüllte Formular vor Vertragsschluss, wie geboten, sorgfältig und damit vollständig ausgewertet, so hätte er dabei nicht übersehen können, dass hier zur Abrundung seiner für eine sachgerechte Risikoprüfung unerlässlichen Kenntnis noch eine Rückfrage bei dem Arzt geboten war, den der VN als den Arzt bezeichnet hatte, der am besten über seine Gesundheitsverhältnisse orientiert sei. Die Notwendigkeit, zur Abrundung seiner erforderlichen Kenntnisse noch den benannten Arzt zu fragen, hätte sich dem Versicherer gerade deshalb aufdrängen müssen, weil die Antworten des Antragstellers in ihrer Gesamtheit keine Klarheit über die Schwere seiner Erkrankung brachten.
Dass der Versicherer die nach Sachlage gebotene umgehende Rückfrage bei dem benannten Arzt unterlassen habe, durch die er alsbald auch von der anhaltenden Lebererkrankung des VN erfahren hätte, führe dazu, dass er wegen Nichtbeachtung dieser Erkrankung vor Vertragsschluss ein Anfechtungs- oder ein Rücktritt...