Das reformierte Versicherungsvertragsgesetz (VVG 2008) hat den Praxistest glänzend bestanden und sich bewährt.
Herzstück des VVG 2008 ist der Wegfall des Alles-oder-Nichts-Prinzips bei grober Fahrlässigkeit. Der Versicherungsnehmer erhält auch dann anteiligen Versicherungsschutz, wenn er sich bei Obliegenheitsverletzungen, Gefahrerhöhungen oder Herbeiführung des Versicherungsfalles grobfahrlässig verhalten hat. Die vermeintliche Befürchtung einiger Versicherer, durch die Quotenbildung bei grober Fahrlässigkeit sei mit einer Prozessflut zu rechnen, hat sich nicht bestätigt. Im Gegenteil, die Deckungsprozesse bei grober Fahrlässigkeit sind rückläufig, da für viele Versicherungsnehmer es nicht einsichtig war, dass nach altem Recht bei grober Fahrlässigkeit die Leistungspflicht in vollem Umfang entfiel wie bei Vorsatz. Die meisten Versicherungsnehmer akzeptieren bei grober Fahrlässigkeit eine Reduzierung der Versicherungsleistung, bei der das Maß der groben Fahrlässigkeit berücksichtigt wird.
Zu den wesentlichen Neuerungen des VVG 2008 gehört auch, dass einfache Fahrlässigkeit bei Obliegenheitsverletzungen und Gefahrerhöhung nicht mehr sanktioniert wird.
Nach altem Recht führten Obliegenheitsverletzungen auch dann zur Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn diese generell geeignet waren, die Interessen des Versicherers zu gefährden ("Relevanztheorie"). Nunmehr gilt das Kausalitätserfordernis, so dass Obliegenheitsverletzungen sich nur dann auswirken können, wenn diese kausal für den Eintritt des Versicherungsfalles waren. Dieses Kausalitätserfordernis entfällt lediglich bei Arglist.
Folgerichtig berufen sich die meisten Versicherer bei ihrer Deckungsablehnung auf Arglist. Der BGH hat in mehreren Entscheidungen ausgeführt, dass nicht jede vorsätzlich falsche Angabe des Versicherungsnehmers den Vorwurf der Arglist rechtfertigt. Der Versicherungsnehmer muss bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirken wollen. Der BGH hat weiterhin klargestellt, dass Obliegenheitsverletzungen nach Deckungsablehnung sich nicht mehr auswirken können, selbst bei einer arglistigen Obliegenheitsverletzung.
Auch die in Kommentierung und Literatur diskutierte Frage, ob auch eine "Nullquote" bei grober Fahrlässigkeit in Betracht kommt, ist zwischenzeitlich durch den BGH bejaht worden. Wie nach altem Recht, entfällt z.B. der Versicherungsschutz in der Kaskoversicherung bei absoluter Fahruntüchtigkeit des Versicherungsnehmers.
Dem Auftrag des Gesetzgebers, durch individuelle Quoten zur Einzelfallgerechtigkeit beizutragen, wird in den meisten Entscheidungen Rechnung getragen. Die grobe Fahrlässigkeit hat eine Vielzahl von subjektiven Komponenten, die bei jedem Fall auch gesondert zu bewerten sind.
Die in Kommentierung und Literatur umstrittene Frage, ob der Gerichtsstand gemäß § 215 VVG auch für juristische Personen gilt, ist zwischenzeitlich durch das Urteil des BGH vom 8.11.2017 (IV ZR 551/15, r+s 2018, 54) entschieden worden: Auch juristische Personen können an ihrem Sitz Deckungsansprüche gegen ihren Versicherer geltend machen. Auch der Standard-Kommentar Prölss/Martin hat sich zwischenzeitlich der Auffassung angeschlossen, dass auch juristische Personen an ihrem Sitz Deckungsansprüche gegen ihre Versicherung geltend machen.
In der Rechtsschutzversicherung hat die Rechtsprechung zum Vertragsrechtsschutz einen Paradigmenwechsel vorgenommen: Als Versicherungsfall gilt der Verstoß, auf den sich der Versicherungsnehmer beruft. Nicht die unrichtigen Angaben des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluss lösen den Versicherungsfall aus, Versicherungsfall ist vielmehr die Deckungsablehnung des Versicherers, auch wenn dieser sich auf unrichtige Angaben bei Vertragsschluss beruft.
Die bis zum 1.6.2024 ergangene und veröffentlichte Rechtsprechung zu allen Versicherungszweigen ist in dieser 8. Auflage berücksichtigt worden. Ältere Entscheidungen werden nur dann zitiert, wenn sie auch unter der Ägide des neuen VVG relevant sind.
Zu Gunsten des redaktionellen Teils dieser Auflage ist auf den Abdruck der jeweiligen Versicherungsbedingungen verzichtet worden, zumal diese im Regelfall dem Versicherungsnehmer vorliegen. Sie sind in einem Download zu dem Werk zu finden. In Zweifelsfällen ist es sinnvoll, unter Hinweis auf § 3 VVG beim Versicherer Abschriften des Versicherungsscheins und der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden AVB anzufordern.
Die 8. Auflage des Handbuchs Versicherungsrecht bietet für Rechtsanwälte und Richter, Versicherungsangestellte und Versicherungsvermittler die Möglichkeit, sich mit dem VVG 2008 und der zu diesem Gesetz ergangenen Rechtsprechung vertraut zu machen.
Herausgeber und Autoren sind für Kritik und Anregungen dankbar und werden diese gerne bei der nächsten Auflage berücksichtigen.
Dr. Hubert W. van Bühren
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Versicherungsrecht