Rdn 4171
1. Anträge auf Wiederholung einer Beweiserhebung haben i.d.R. keinen Erfolg. Ist nämlich der Beweis, dessen Erhebung der Verteidiger (erneut) beantragt, schon erhoben, ist der Beweiserhebungsanspruch erloschen. Es besteht selbst dann kein Anspruch auf Wiederholung einer Beweisaufnahme, wenn zwischen dem Verteidiger und dem Gericht Meinungsverschiedenheiten über das Ergebnis der bereits durchgeführten Beweiserhebung bestehen (zur – verneinten – Frage, ob das Gericht eine Hinweispflicht hat, wenn es die Ergebnisse der Beweiserhebung anders als der Verteidiger wertet, BGHSt 43, 212; BGH NStZ 2009, 468). Über diese und damit über die Notwendigkeit einer Wiederholung der Beweiserhebung wird im Rahmen der sich aus § 244 Abs. 2 ergebenden → Aufklärungspflicht des Gerichts, Teil A Rdn 432, entschieden (BGH NStZ 1999, 312).
Rdn 4172
2. Die mit der Wiederholung einer Beweisaufnahme zusammenhängenden Fragen haben in der Praxis eine Rolle gespielt in folgenden
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Ist die Auskunft einer Behörde nach § 256 verlesen worden (→ Verlesung von Behördengutachten, Teil V Rdn 3558), besteht kein (Beweiserhebungs-)Anspruch mehr auf Vernehmung eines ihrer Angehörigen zu der gleichen Frage (BGH NStZ 1981, 95 [Pf/M]). |
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Es besteht kein Anspruch darauf, einem Zeugen einen bereits vernommenen Zeugen gegenüberzustellen (BGH NJW 1960, 2156; → Gegenüberstellung von Zeugen, Teil G Rdn 2026). |
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Durch die → Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen, Teil V Rdn 4074, nach § 255a Abs. 2 wird die Vernehmung eines Zeugen in der HV ersetzt. Für die Stellung eines Beweisantrags auf ergänzende Vernehmung gelten daher dieselben Grundsätze wie bei einem Antrag auf wiederholte Vernehmung eines in der HV bereits vernommenen Zeugen (BGHSt 48, 268; OLG Karlsruhe StraFo 2010, 71). |
Rdn 4173
3. Das Gericht muss eine Beweisaufnahme dann wiederholen, wenn die berechtigte Erwartung besteht, dass eine Wiederholung ein neues oder anderes Ergebnis bringen wird (Rose JR 2000, 33 in der Anm. zu BGH NStZ 1999, 312). Das kann der Fall sein, wenn der Beweisantrag eine neue Beweisbehauptung enthält (BGH StV 1995, 566; OLG Hamburg StV 2012, 589). Entsprechendes gilt, wenn die Beweisaufnahme sich auf Umstände erstrecken soll, zu denen z.B. ein Zeuge aufgrund des zeitlichen Ablaufs bei seiner ersten Vernehmung noch gar nicht gehört werden konnte (s. die Fallgestaltung bei OLG Karlsruhe StraFo 2010, 71 [nach einer BTA liegende Äußerungen]), da dann die Beweisbehauptung nicht lediglich auf eine (teilweise) Wiederholung der Vernehmung abzielt (BGHSt 48, 268; StV 1995, 566; OLG Karlsruhe StraFo 2010, 71). Ist der Zeuge hingegen schon umfassend gehört worden, scheidet eine erneute Vernehmung aus, wenn ggf. zu dem Zeitpunkt die Relevanz seiner Angaben für das Verfahren noch nicht erkennbar war (s. wohl BGH, Beschl. v. 17.5.2011 – 1 StR 208/11 [insoweit nicht in BGH NStZ 2011, 592] für offenbar erst nach der Vernehmung des Zeugen erhobene → Nachtragsanklage, Teil L Rdn 2345). Ein Beweisantrag kann zudem auch dann nicht als unzulässig wegen Wiederholung einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme abgelehnt werden, wenn es an einer Identität der verwendeten bzw. zu verwendenden Beweismittel mangelt (BGH NStZ 2006, 406). So haben z.B. die Inaugenscheinnahme eines Films, sei es auch in Zeitlupengeschwindigkeit, und diejenige von (vergrößerten) Einzelbildern (Standbildern) nicht denselben Beweisgegenstand zum Inhalt, auch wenn die Filmsequenz notwendigerweise aus einer Abfolge von Einzelbildern besteht (BGH, a.a.O.). Auch der Antrag auf Vernehmung eines weiteren SV zielt auf ein anderes Beweismittel (BGH, Beschl. v. 13.5.2020 – 4 StR 533/19, NStZ 2021, 178).
☆ Hinsichtlich der Wiederholung einer Beweiserhebung muss der Verteidiger immer erwägen, ob er einen entsprechenden Antrag nicht doch stellt, um so für die Revision die Aufklärungsrüge vorzubereiten (zu den Anforderungen an die Revisionsbegründung BGH NStZ 2015, 540). Der in der Praxis wichtigste Fall ist die erneute Vernehmung eines Zeugen oder SV (→ Zeuge, Vernehmung , erneute Vernehmung , Teil Z Rdn 4269 ; zur Abgrenzung und zum Inhalt des Antrags; zur erneuten Vernehmung eines SV BGH NStZ 2007, 417).Aufklärungsrüge vorzubereiten (zu den Anforderungen an die Revisionsbegründung BGH NStZ 2015, 540). Der in der Praxis wichtigste Fall ist die erneute Vernehmung eines Zeugen oder SV (→ Zeuge, Vernehmung, erneute Vernehmung, Teil Z Rdn 4269; zur Abgrenzung und zum Inhalt des Antrags; zur erneuten Vernehmung eines SV BGH NStZ 2007, 417).
Zu überlegen ist ggf. auch die Stellung eines sog. affirmativen Beweisantrags (→ Beweisantrag, Allgemeines, Teil B Rdn 1091) zu einem bereits erhobenen Beweis, für den jetzt (noch) ein anderes Beweismittel angeboten wird.