Alexander A. Ließem, Serge Beck
a) Allgemeines
Rz. 15
Das ZGB RB teilt die Erben in vier primäre Ordnungen sowie noch in sogenannte nachfolgende Erbordnungen ein, Art. 1057–1061 ZGB RB. Erben der gleichen Ordnung erben zu gleichen Anteilen, Art. 1056 Abs. 1 S. 2 ZGB RB. Eine Ausnahme hierzu stellt das Repräsentanzprinzip gem. Art. 1062, 1057 Abs. 2, 1058 Abs. 2, 1060 ZGB RB dar, dessen Konstrukt dem Grunde nach der deutschen Erbfolge nach Stämmen gem. § 1924 Abs. 3 BGB entspricht. Danach wird der Erbanteil des verstorbenen Erben unter den ihn "repräsentierenden" Abkömmlingen aufgeteilt. Erben der höheren Erbordnung schließen Erben der nachfolgenden Erbordnung von der gesetzlichen Erbfolge aus, Art. 1056 Abs. 5 ZGB RB.
b) Erben erster Ordnung
Rz. 16
Erben erster Ordnung sind gem. Art. 1057 Abs. 1 und 2 ZGB RB die Kinder, der Ehegatte sowie die Eltern des Erblassers. Dabei trifft das Erbrecht keine besonderen Regelungen betreffend nichtehelicher Kinder, welche – ebenso wie gem. Art. 1056 Abs. 2 ZGB RB auch Adoptivkinder – den ehelichen Abkömmlingen des Erblassers gleichgestellt sind. Enkelkinder des Erblassers und ihre unmittelbaren Abkömmlinge beerben ihn gem. Art. 1057 Abs. 2, 1062 ZGB RB nach dem Repräsentanzprinzip.
Rz. 17
Im belarussischen Erbrecht existiert kein Pendant zum deutschen Ehegattenerbrecht gem. § 1931 und § 1371 BGB. Der gesetzliche Erbanteil des überlebten Ehegatten bestimmt sich demnach unabhängig vom Güterstand nach der Gesamtzahl der Erben der ersten Ordnung. Ansprüche des überlebten Ehegatten aus dem Zugewinnausgleich bzw. der gesetzlichen Gütergemeinschaft bleiben ihm unbenommen, Art. 1065 Abs. 1 ZGB RB. Allerdings kann dem Ehegatten durch Gerichtsbeschluss sein gesetzlicher Erbteil entzogen werden, sofern nachgewiesen wird, dass die mit dem Erblasser eingegangene Ehe zum Zeitpunkt des Erbfalls de facto nicht mehr bestand und die Ehegatten zur Zeit der Eröffnung des Nachlassverfahrens seit mindestens fünf Jahren getrennt lebten und keinen gemeinsamen Haushalt führten, Art. 1065 Abs. 2 ZGB RB. Im Falle einer solchen Entziehung des gesetzlichen Erbteils verbleibt dem Ehegatten jedoch sein Pflichtteil, der gem. Art. 1064 Abs. 1 ZGB RB mindestens die Hälfte des gesetzlichen Teils beträgt.
c) Erben der zweiten Ordnung
Rz. 18
Erben der zweiten Ordnung sind die Geschwister oder Halbgeschwister des Erblassers, Art. 1058 Abs. 1 ZGB RB. Deren Kinder, also Neffen und Nichten des Erblassers, können nach dem Repräsentanzprinzip für die Geschwister bzw. Halbgeschwister des Erblassers in deren Position eintreten, Art. 1058 Abs. 2 ZGB RB.
d) Erben der dritten Ordnung
Rz. 19
Sofern die Erben der ersten und zweiten Ordnung nicht vorhanden sind, treten gem. Art. 1059 ZGB RB die Großeltern des Verstorbenen als Erben der dritten Ordnung ein.
e) Erben der vierten Ordnung
Rz. 20
In vierter Ordnung erben gem. Art. 1060 Abs. 1 ZGB RB die Geschwister oder Halbgeschwister der Eltern des Erblassers, also die Onkel und Tanten des Erblassers, sofern keine Erben der ersten, zweiten und dritten Ordnung vorhanden sind. Deren Kinder, also die Cousins und Cousinen des Erblassers, können nach dem Repräsentanzprinzip für die Onkel und Tanten des Erblassers eintreten, Art. 1060 Abs. 2 ZGB RB.
f) Nachfolgende Erbordnungen
Rz. 21
Sofern keine Erben der ersten vier Ordnungen gem. Art. 1057–1060 ZGB RB vorhanden sind, treten die übrigen Verwandten des Erblassers vom dritten bis zum sechsten Verwandtschaftsgrad ein. Dabei schließt die nähere Verwandtschaft die entferntere Verwandtschaft aus, Art. 1061 Abs. 1 ZGB RB. Verwandte desselben Verwandtschaftsgrades erben zu gleichen Teilen, Art. 1061 Abs. 4 ZGB RB. Der rechtliche Verwandtschaftsgrad (Linie) zwischen zwei Personen bestimmt sich wie im deutschen (§ 1589 Abs. 1 S. 3 BGB), österreichischen (§ 41 ABGB) oder auch schweizerischem Recht (Art. 20 Abs. 1 Schweizer ZGB) nach der Zahl der ihre Verwandtschaft vermittelnden Geburten mit Ausnahme der Geburt des Erblassers, Art. 1061 Abs. 2 ZGB RB. Art. 1061 Abs. 3 Nr. 1–4 gibt den numerus clausus der übrigen Verwandtschaft im Sinne der nachfolgenden Erbordnung vor.
g) Sondererben: Arbeitsunfähige Unterhaltsempfänger
Rz. 22
Art. 1063 ZGB RB legt zwei weitere, aus der Perspektive des kontinentalen Rechts etwas ungewöhnliche Erbengruppen fest. So können diejenigen Erben der zweiten bis zu jeder nachfolgenden Ordnung, die arbeitsunfähig sind und mindestens ein Jahr lang de jure dem Erblasser gegenüber unterhaltsberechtigt oder de facto Unterhaltsempfänger waren, auf Augenhöhe mit den Erben höherer Erbordnungen, jedoch nicht mehr als ein Viertel des Nachlasses, erben. Des Weiteren können diejenigen arbeitsunfähigen Personen, die zwar nicht Erben der zweiten bis zu jeder nachfolgenden Ordnung sind, aber mindestens ein Jahr lang als de facto-Unterhaltsempfänger im Haushalt des Erblassers wohnhaft waren, zu gleichen Teilen wie die eintretenden Erben, jedoch nicht mehr als ein Viertel des Nachlasses erben.