Alexander C. Blankenstein
Nach bisheriger Rechtslage bestehen im Fall der Anfechtungsklage 2 Besonderheiten hinsichtlich des Verhältnisses der Anfechtungs- zur Nichtigkeitsklage:
- Das Gericht trifft nach § 46 Abs. 2 WEG a. F. eine Hinweispflicht, wenn der Anfechtungskläger erkennbar eine Tatsache übersehen hat, aus der sich ergibt, dass der Beschluss nichtig ist.
- Wird durch das Urteil eine Anfechtungsklage als unbegründet abgewiesen, so kann nach § 48 Abs. 4 WEG a. F. auch nicht mehr geltend gemacht werden, der Beschluss sei nichtig.
Das Gericht ist gemäß § 46 Abs. 2 WEG a. F. verpflichtet, über die allgemeinen Hinweispflichten des § 139 ZPO hinaus, den Kläger auf Nichtigkeitsgründe hinzuweisen, die dieser "erkennbar" übersehen hat. Diese erweiterte richterliche Hinweispflicht ist insbesondere deshalb geboten, weil ein wohnungseigentumsrechtlich ungeschulter Wohnungseigentümer oder auch ein Verwalter im Einzelfall nur schwer beurteilen kann, ob ein Beschluss lediglich anfechtbar oder ob er nichtig ist. Hier ist vor allem zu beachten, dass im erstinstanzlichen wohnungseigentumsrechtlichen Beschlussanfechtungsverfahren kein Anwaltszwang besteht und der Rechtsweg daher ohne anwaltlichen Beistand beschritten werden kann.
Im Übrigen werden Nichtigkeitsgründe von Amts wegen vom Gericht geprüft. Der klagende Wohnungseigentümer muss also in seiner Klage nicht behaupten, er halte den angefochtenen Beschluss aus bestimmten Gründen für nichtig.
Darlegungslast beachten
Dies entbindet den Kläger einer Anfechtungsklage jedoch nicht von dessen Darlegungslast. So muss dieser den tatsächlichen, die Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses begründenden Lebenssachverhalt im Rahmen seiner Klage vortragen. Das Gericht kann also nicht von sich aus Tatsachen berücksichtigen, die vom Kläger – wenn auch nur versehentlich – nicht vorgetragen wurden.
Hat das Gericht keine Hinweise erteilt bzw. Nichtigkeitsgründe auch gar nicht erkannt und eine Anfechtungsklage als unbegründet rechtskräftig abgewiesen, kann die Beschlussnichtigkeit in einem weiteren Verfahren nicht mehr geltend gemacht werden.
Keine nachträgliche Geltendmachung von Beschlussnichtigkeitsgründen
Die Tagesordnung für die nächste Wohnungseigentümerversammlung enthält als TOP die Beschlussfassung über eine Änderung der Kostenverteilung der Verwaltungskosten. Einige der Wohnungseigentümer treten mit der Bitte an den Verwalter heran, den Versammlungsort möglichst so zu wählen, dass der schwerbehinderte und an den Rollstuhl gefesselte Wohnungseigentümer W, der die Erdgeschosswohnung bewohnt und allgemein als Querulant gilt, diesen nicht erreichen kann. Der Verwalter lädt kurzerhand zur Eigentümerversammlung in der Dachgeschosswohnung eines weiteren Miteigentümers ein. Da ein Lift noch nicht eingebaut ist, kann W der Eigentümerversammlung tatsächlich nicht beiwohnen. Die Eigentümerversammlung beschließt die Kostenverteilungsänderung. W hält diese Kostenverteilungsänderung für willkürlich und erhebt Anfechtungsklage.
Der Beschluss ist nichtig, weil der Verwalter den Versammlungsort bewusst so gewählt hat, dass der behinderte W den Ort nicht erreichen konnte.
Argumentiert W allein damit, der Beschluss verstoße inhaltlich gegen § 16 Abs. 3 WEG a. F., geht er das Risiko ein, dass das Gericht dennoch die Gültigkeit des Beschlusses bestätigt, weil die Kostenverteilungsänderung nicht willkürlich ist. Soweit die Anfechtungsklage tatsächlich abgewiesen und W gegen das Urteil keine Berufung einlegen würde, würde dieses rechtskräftig werden. Nach Eintreten der Rechtskraft könnte W keine Nichtigkeitsklage wegen des Ladungsmangels mehr erheben, weil diesem Vorgehen § 48 Abs. 4 WEG a. F. entgegensteht.
Soweit W im Rahmen des Anfechtungsverfahrens nicht vorträgt, warum er an der Versammlungsteilnahme verhindert war, kann das Gericht auch keinen Hinweis gemäß § 46 Abs. 2 WEG a. F. hinsichtlich der Beschlussnichtigkeit geben.