Leitsatz
Wird ein Wiedereinsetzungsantrag auf die unerwartet lange Dauer einer Telefaxübermittlung gestützt, hat das Gericht die zum Vergleich vorgelegten Sendeberichte zu würdigen. Ein auf einen vorübergehenden "Computerdefekt" oder "Computerabsturz" gestützter Wiedereinsetzungsantrag bedarf stets näherer Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung.
Sachverhalt
Die von einem Anwalt einzuhaltende Berufungsbegründungsfrist lief am 3.3.2003 ab. Die letzte, die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten enthaltende Seite der per Fax an das OLG übermittelten Berufungsbegründung wurde nach den Aufzeichnungen des Empfangsgeräts am 3.3.2003 00.01 Uhr empfangen und elektronisch gespeichert. Die Übertragungszeit für 34 Seiten betrug nach dem Sendebericht des Klägers 17,51 Minuten, nach den Aufzeichnungen des Empfangsgeräts 17,55 Minuten. Die zunächst fehlenden Seiten wurden von dem Empfangsgerät um 00.05 Uhr gespeichert. Der Kläger zweifelt die zutreffende Aufzeichnung der Übermittlungszeit an. Hilfsweise hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu vorgetragen, er habe die Berufungsbegründung am 3.3. vor 24.00 Uhr in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten selbst "(fertig-)geschrieben". Dieser habe sie nach Prüfung unterzeichnet. Sie habe wegen eines "nicht nachvollziehbaren Computerdefekts (Abstürzen der Anlage)" erst um 23.40 Uhr mit etwa 1½ Stunden Verspätung ausgedruckt werden können. Der Defekt der seit mindestens 1½ Jahren störungsfrei arbeitenden Computeranlage sei nicht vorhersehbar gewesen. Im Übrigen hätten der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter aufgrund ihrer bisherigen, durch vorgelegte Sendeberichte belegten Erfahrungen darauf vertraut, dass nicht nur ca. zwei, sondern knapp vier Seiten/Minute "durchgefaxt" werden könnten. Mit der ungewöhnlich langen Übertragungsdauer hätten sie nicht rechnen müssen. Der BGH hob die die Wiedereinsetzung ablehnende Entscheidung des OLG auf und verwies die Sache zurück.
Entscheidung
Der BGH verweist zunächst darauf, dass die Berufungsbegründung tatsächlich zu spät eingegangen sei. Der Kläger habe den von ihm zu führenden Nachweis des rechtzeitigen Eingangs seiner Berufungsbegründung mit der die Unterschrift seines Prozessbevollmächtigten enthaltenden letzten Seite nicht geführt. Eine Störung des Empfangsgeräts oder eine im technischen Verantwortungsbereich der Empfangsstelle liegende Ungenauigkeit der Zeitmessung sei nicht ersichtlich.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, die für die Faxübermittlung tatsächlich benötigte Zeit sei für den Kläger oder dessen Prozessbevollmächtigten vorhersehbar gewesen und ergebe daher keinen Wiedereinsetzungsgrund, lehnt der Senat aber ab. Diese Begründung verkürzt den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes ebenso wie die Feststellung, die Sendedauer liege im tatsächlichen technischen Variationsbereich, den der Absender stets berücksichtigen müsse. Denn die Übermittlungsdauer hängt nicht nur von der Anzahl der übermittelten Signale, sondern auch von der zu erwartenden Übertragungsgeschwindigkeit ab. Andererseits schließt das nicht aus, dass bei der Faxübermittlung eine gewisse Zeitreserve einzukalkulieren ist. Insoweit sind weitere tatsächliche Feststellungen des OLG nötig.
Das "plötzliche Abstürzen der Computeranlage" genügt dem BGH zur Gewährung der Wiedereinsetzung nicht. Denn der Antragsteller hätte auf jeden Fall die näheren Umstände des angeblichen Computerdefekts vortragen müssen. Unverzichtbar wären insbesondere Ausführungen dazu gewesen, wann, wie oder bei welcher Verrichtung sich der "nicht nachvollziehbare" Computerdefekt bemerkbar machte und wie es dennoch gelang, diesen kurz vor Mitternacht wieder zu beheben. Unklar ist weiter, ob mit dem "Abstürzen" ein (teilweiser) Verlust des bisher geschriebenen Textes verbunden war oder z.B. schlicht die Druckerfunktion nicht in Gang gesetzt werden konnte. In diesem Zusammenhang wäre gerade auch ein Vortrag dazu erforderlich gewesen, ob der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter in der Bedienung des Computers und des Druckers so geübt waren, dass sie diese bei ihrer nächtlichen Arbeit ohne Schreibkraft sicher bedienen konnten.
Praxishinweis
Nach ständiger Rechtsprechung darf der Betroffene Rechtsmittelfristen vollständig ausnutzen. Die Entscheidung des BGH zeigt aber wiederum die Gefahren, die bei unvorhergesehenen technischen Defekten entstehen können. Der sorgfältige Berater sollte daher genügend Spielraum einkalkulieren, um Rechtsmittelbegründungen auch dann noch rechtzeitig übermitteln zu können. Auf jeden Fall muss er bei Wiedereinsetzungsanträgen alle für ihn sprechenden Umstände, auch soweit sie technische Einzelheiten betreffen, vortragen. Ein unvollständiger Sachvortrag führt, wie der BGH-Beschluss zeigt, schnell zu ablehnenden Entscheidungen.
Link zur Entscheidung
BGH-Beschluss vom 17.5.2004, II ZB 22/03