Leitsatz
Auch mit einer vertraglich unwirksamen Übertragung der Streupflichten können sich die Streupflichten des ursprünglich Pflichtigen in Auswahl-, Instruktions- und Überwachungspflichten ändern und Pflichten bei dem Übernehmer entstehen.
(amtlicher Leitsatz des Gerichts)
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1
Kommentar
Zwischen den Eigentümern benachbarter Häuser bestand eine 15-jährige Praxis, wonach der dem jeweiligen Eigentümer obliegende Winterdienst während dessen Urlaubsabwesenheit vom Eigentümer des Nachbarhauses erledigt werden sollte. Nach der Gemeindesatzung waren bei der Übertragung des Winterdienstes auf einen Dritten bestimmte Förmlichkeiten zu beachten, die jedoch hier nicht eingehalten wurden. Während des Winterurlaubs eines Eigentümers stürzte ein Passant vor dessen Haus. Es war zu entscheiden, ob der Eigentümer für die Folgen der Schlechterfüllung des Winterdienstes durch den Nachbarn einstehen muss.
Das Gericht hat nach folgenden Grundsätzen entschieden:
1. Verkehrssicherungspflicht
Die Streupflicht ist Teil der Verkehrssicherungspflicht. Stürzt ein Dritter infolge einer schlecht erfüllten Streupflicht, haftet der Verkehrssicherungspflichtige nach deliktischen Grundsätzen.
2. Faktische Übernahme
Die Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf den Nachbarn (oder einen Mieter) setzt keinen wirksamen Übernahmevertrag voraus. Es genügt "ein faktisches Einverständnis" zwischen den Beteiligten und eine tatsächliche Übernahme der Verkehrssicherungspflicht durch den Übernehmer.
3. Haftung
Der Übernehmer haftet für die Schlechterfüllung der Verkehrssicherungspflicht im Schadensfall gegenüber dem Geschädigten nach § 823 BGB. Der ursprünglich Verkehrssicherungspflichtige haftet gegenüber dem Geschädigten ebenfalls nach § 823 BGB.
Jedoch ändert sich der Umfang dieser Pflichten: Der ursprünglich Verkehrssicherungspflichtige haftet nicht mehr für die ordnungsgemäße Erfüllung der Streupflicht; er ist lediglich verpflichtet, den Übernehmer sorgfältig auszuwählen und zu überwachen.
Persönliche Kontrolle
Im Rahmen der Überwachungspflicht sind grundsätzlich persönliche Kontrollen erforderlich.
4. Überwachungspflicht entfällt
Ist der ursprünglich Verkehrssicherungspflichtige aber ortsabwesend, besteht keine Pflicht zur persönlichen Kontrolle, wenn sich in der Vergangenheit keine Probleme ergeben haben.
Hiervon ist auszugehen, wenn die Übernahme der Verkehrssicherungspflicht – wie hier – seit vielen Jahren beanstandungsfrei praktiziert wird.
Link zur Entscheidung
OLG Schleswig, Urteil v. 28.2.2012, 11 U 137/11, ZMR 2012 S. 947