Leitsatz
Nachträgliche mündliche Individualvereinbarungen haben auch vor Schriftformklauseln in Formularverträgen über langfristige Geschäftsraummietverhältnisse Vorrang (amtlicher Leitsatz des BGH).
Normenkette
BGB § 550
Kommentar
Die Parteien haben am 7.10.1999 einen langfristigen gewerblichen Mietvertrag zu einer Monatsmiete von 2.900 DM abgeschlossen. In einem Mietvertrag ist u. a. folgende Schriftformklausel enthalten:
"Nachträgliche Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrags gelten nur bei schriftlicher Vereinbarung."
In den Jahren 2000 und 2001 hat der Mieter lediglich eine Miete von 2.000 DM monatlich bezahlt. Der Vermieter hat die Restmiete eingeklagt. Der Mieter hat eingewendet, er habe sich mit dem Vermieter nach Abschluss des Mietvertrags mündlich auf eine Monatsmiete von 2.000 DM geeinigt. Es war zu entscheiden, ob mündliche Vereinbarungen trotz einer Schriftformklausel möglich sind.
Hierfür gelten folgende Grundsätze:
1. Nach § 305b BGB haben individuelle Vertragsabreden Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Eine Formularklausel, wonach Änderungen und Ergänzungen der Schriftform bedürfen, weicht von diesem Grundsatz ab und verstößt gegen das gesetzliche Leitbild des Vertragsrechts. Eine solche Klausel ist unwirksam (BGH, Urteil v. 15.2.1995, VIII ZR 93/94, NJW 1995, 1488, 1489).
2. Streitig ist, ob für langfristige Mietverträge, die in den Anwendungsbereich des § 550 BGB fallen, etwas anderes gilt (so: KG, MDR 2000, 1241; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet,- Pacht- und Leasingrechts, 9. A. Rdn. 142; Gerber/Eckert, Gewerbliches Miet- und Pachtrecht, 5. A. Rdn. 80; a.A.: Lammel in: Schmidt-Futterer § 550 BGB Rdn. 68; Bub in: Bub/Treier Rdn. II 564; Sternel Rdn. I 210). Der BGH hat diese Frage noch nicht entschieden. Er hat ausgeführt, dass es darauf nicht ankommt.
3. Die Parteien können nämlich eine (wirksame) Formularvereinbarung nach Abschluss des Mietvertrags mittels mündlicher Individualabsprache ändern. Dies gilt auch, wenn in einem Formularvertrag eine wirksame Schriftformklausel enthalten ist. Die Individualabsprache kann ausdrücklich, aber auch stillschweigend getroffen werden (BGH, NJW 1986, 1807). Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien eine Änderung der Formularklausel beabsichtigt haben oder ob sie sich der Kollision mit der Formularklausel bewusst geworden sind (BGH, NJW-RR 1995, 179, 180).
4. Haben die Parteien individualvertraglich vereinbart, dass Änderungen schriftlich zu erfolgen haben, so ist § 305b BGB unanwendbar. Nur in diesem Fall setzt die Gültigkeit einer mündlichen Vereinbarung voraus, dass die Parteien bewusst von der Schriftformvereinbarung abweichen wollten.
5. Es gilt die Vermutung, dass der schriftliche Mietvertrag die Vereinbarungen vollständig wiedergibt. Wer sich auf eine mündliche Abrede beruft, ist hierfür beweispflichtig.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 21.09.2005, XII ZR 312/02, GE 2005, 1546